Er wohnt schon lange hier. Eigentlich wohnt er schon immer hier.
Seine Eltern haben das Haus vor vielen, vielen Jahrzehnten errichtet. Damals, zwischen den Weltkriegen. Ein Holzhaus. Mit Holz aus dem Wald, der zum Grundstück dazu gehört. Mittlerweile sind auch die Nachpflanzungen stattliche Baumwesen. Cornelius ist gerne im Wald. Er hört den Meisen und den Finken bei ihren Vogelhochzeitskonzerten zu. Beobachtet Familie Fuchs und den fetten Marder, der sich von Baum zu Baum schwingt. Immer auf der Suche nach Futter. Sehr zum Leidwesen der Hühnerbesitzer in der Umgebung. Jetzt füllt sich der Wald zunehmend mit Leberblümchen, die Schneerosen funkeln miteinander um die Wette. Hier hat sich der Frühling schon herumgesprochen.

Seufzend kehrt er aus dem Wald zurück. Schon wieder ist sein umgehängter Plastiksack fast randvoll mit Spuren, die Menschen hinterlassen haben. Joghurtbecher, Taschentücher, Hundekotsackerln mit und ohne Inhalt. Er kann einfach nicht daran vorbei gehen und den Krempel liegen lassen. Heute hat er eine große rostige Sprungfeder gefunden, direkt an seinem Lieblingsschwammerlplatz. Er weiß noch nicht was er daraus macht, aber er wird sie irgendwie verwenden. Im Garten vermutlich. Arte Povera.

Emely hat ihm heute am frühen Morgen eine Whatsapp geschickt. Emely, seine liebenswürdige Nachbarin. Als sie vor fünfzehn Jahren ins Nachbarhaus eingezogen ist, war er eher skeptisch. Damals hatte sie noch fünf Katzen und ihren Kater. Sie kam mit ihrem Bus Elvira, der randvoll war mit Kisten und Kästen und Zeugs. Viel zu viel Zeugs. Nach einigen Einladungen und Gegeneinladungen begannen sie sich anzufreunden. Und diese Freundschaft hält seither an und zählt zu den erfreulichsten Dingen in Cornelius Leben.

Doch zurück zur Nachricht von heute früh. Emely verfolgt offensichtlich das Wetter südlich der europäischen Alpen. Und stellt fest, dass sie es eigentlich in Marokko gut hat. Temperaturmäßig. Dass sie noch ein bisschen abwarten will, wann denn nun der Frühling zuverlässig ins Alpenvorland gezogen ist. Damit sie wieder garteln kann. Garteln ist eine Leidenschaft, die die beiden Nachbarn verbindet. Cornelius, der ehemalige Chemiker einer Fabrik in der Nachbarstadt, hat sich nach seiner Pensionierung ganz auf natürliche chemikalische Prozesse im Garten eingelassen. Er hat Kurse besucht, die Permakultur in der Praxis lehren. Er hat bei Demeterbauern mitgearbeitet, um deren Zugang zur Landwirtschaft zu verstehen und selbst anzuwenden. Und er hat damit begonnen, Bienen zu beherbergen. Zehn Völker sind es mittlerweile, die er liebevoll betreut. Auch hier hat er lange nach einem Weg gesucht, sie so artgerecht als möglich zu begleiten. Emely ist von Anfang an seine begeistertet Schülerin. Und ist oft genug mit ihm unterwegs, um einen Schwarrm von Bäumen zu holen und nach Hause zu bringen. Oder um hitzig mit anderen zu diskutieren, was nun am besten gegen Varroamilben hilft – Wärme oder mehr oder weniger natürliche Substanzen.

Emely bittet ihn, ein wenig zu schauen, ob der Winter Schaden am Haus angerichtet hat. Und schickt ihm ein Selfie mit Kater vor irgendeiner Küste. Wie gut sie ausschaut, braun gebrannt und mit blitzenden Augen! Sie weiß nicht, dass er schon das Gartentor gerichtet hat, dass nach einer Baumlawine von der Zeder aus den Angeln gefallen war. Dass er fast täglich die Vogelhäuschen nachfüllt. Jetzt, da der Kater weg ist, ergibt das Füttern der gefiederten Freunde Sinn. Bevor seine Nachbarin heimkommt, wird er den Holzofen zwei, drei Tage ordentlich einheizen und einmal durchsaugen. Das macht er jedes Jahr. Sie soll gern wieder da sein. Er freut sich schon auf die Geschichten ihrer Reise, die sie bei einem Glas Portwein gerne erzählt. Cornelius überlegt ernsthaft, ob sich auf seine alten Tage doch noch einen Bus ausbaut. Er muss gar nicht mit Emely reisen. Er will einfach noch ein bisschen hinaus in die Welt. Nicht mehr mit dem Flugzeug wie früher, sondern langsamer. Das Jahr wird zeigen, was möglich ist.

Cornelius bringt seinen Müll zur Müllinsel und freut sich, als er das Säckchen los ist. Heute kocht er sich am frühen Nachmittag etwas Marokkanisches. Er muss noch sein Kochbuch befragen. Irgendetwas Würziges, Herzhaftes, um seinen winterkalten Körper ordentlich durchzuheizen. Gewürze und Kräuter hat er von Emely bekommen. Hach. Wie er sich auf ihre Rückkehr freut…

Cornelius nimmt sich vor, heute die Gartenschuhe auszugraben, die Gartenschürze vom letzten Jahr zu suchen und überhaupt vermisst er seine große Umhängetasche, mit der er normalerweise im Wald unterwegs ist. Vielleicht ist es überhaupt an der Zeit, das ganze Haus durchzulüften. Ein bisschen zu putzen, zu waschen. Eine Wand neu anzumalen, die in der Küche. Das ist genug Arbeit für die nächsten Wochen und wird die Wartezeit bestimmt verkürzen.
Das sind Kunstwerke – so tolle Puppen – mit so viel Geschichte und Ausdruck….
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liebe Ingun, so schön von dir zu hören! und noch schöner, dass du meine Wesen (noch immer) magst, zwei leben ja mittlerweile bei dir ❤
ganz herzliche Grüße, Lisa
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Ich schaue sie immer gerne an und freue mich jeden Tag, wenn ich sie sehe.
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wie mich das freut! drück die beiden beim Vorbeigehen von mir! glg Lisa
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