Als Emely aufwacht, beschweren sich die scheuen Meisen lautstark über die fehlenden Sonnenblumenkerne. Seufzend mahlt sie ein paar Kaffeebohnen und stopft ihr Espressokännchen.
Sie schürt den Ofen nach und macht sich auf den Weg. Ihr Kater streicht ihr maunzend zwischen den Beinen herum. Hoffentlich schaut der Nachbar nicht schon aus dem Fenster. So zerrupft wie heute hat sie sich lange nicht gefühlt. Die grünen und blauen und schwarzweißen gefiederten Freunde beobachten aus der sicheren Distanz des Haselstrauches, ob sie die Sonnenblumenkerne ordnungsgemäß nachfüllt. Sie haben gelernt, dass es tödlich ist, die Kerne vom Boden aufzupicken. Dieser Kater! Der schläft nie! Die Sonne wärmt schon ein bisschen. Ob sie heute zum See hinüber radelt und wieder ein paar Schwimmzüge im noch winterlich kalten Wasser macht? Mit all den anderen Verrückten? Mittlerweile sind sie schon eine kleine Gang. Vom Studenten bis zur Großmutter. Sie schwören darauf, dass das kalte Wasser das Immunsystem stärkt. Nun ja, vielleicht verschiebt sie das auf morgen. Jetzt saust sie zurück in ihr kleinen Häuschen. Nächstes Mal wirft sie sich vielleicht doch den Morgenmantel über.

Der Kaffee faucht in der Kanne hoch. Die Hafermilch ist noch nicht sauer, der Göttin sei Dank. Sie genehmigt sich einen gehäuften Teelöffel mit braunem Zucker, gießt sich das heiße Gebräu in ihre Lieblingstasse und kraxelt zurück in ihr nachtwarmes Bett. Für heute hat sich Cornelius angekündigt. Er will mit ihr im Garten die Apfelbäume ausschneiden. In den letzten Jahren wurden es zu viele Wassertriebe, die Bäume haben einen guten Schnitt bitter nötig. Vielleicht tragen sie dann übernächstes Jahr wieder mehr Äpfel. Außerdem muss sie Elvira in die Autowerkstatt bringen. Elvira, ihr zweites Zuhause. Der klapprige Bus dürfte schon gar nicht mehr fahren, so alt ist er. Emely findet, Elvira hat noch eine Pickerl-Chance verdient. Und falls sie eine kleine oder größere Reparatur braucht, dann bekommt sie die auch. Im Winter sperrt Emely nämlich die kleine Tür ihres Häuschens zu und verabschiedet sich für einige Monate nach Marokko. Mittlerweile gibt es auch dort ein großes Hallo, wenn sie mit der klapprigen Elvira und dem schnurrenden Kater am Beifahrersitz auftaucht. Sie kann sich stundenlang mit anderen Frauen über die Kräuter an der Küste unterhalten. Und wofür oder wogegen sie gut sind. Wenn sie Lust auf Stadt hat, dann holt sie sich auf bunten Märkten unbekannte Gewürze oder einen bunten Stoff für weite Hosen oder eine dieser tollen Fliesen. Jedes Jahr klebt sie neue kunstvoll gefertigte Keramikfliesen hinter die Abwaschschüssel, an die Wand des Busses. Sie unterhält sich mit Händen und Füßen mit den Marktlerinnen. Und bekommt oft Obst und Gemüse zugesteckt. Einander zu verstehen geschieht wortlos. Ganz ohne Rechtschreibpolizei.

Doch jetzt ist sie für ein paar Monate hier. Der Frühling fängt gerade an, anzufangen. Heuer wollte sie früher zurück aus ihrem Winterdomizil. Die Schneeglöckchen werden emsig von den Bienen besucht. Bienen sind auch an den pollenstaubenden Haselblüten, an den Primeln oder an ihrer bunten Kleidung zu sehen. Sie sind hungrig nach diesem langen Winter. Den Übergang zum Sommer möchte sie heuer intensiver erleben als in den letzten Jahren. Wer weiß schon, wie viele Frühlinge sie noch auf diesem Planeten verbringt. Durch die Wärme sind die Fliegen in den Ritzen ihres Holzhäuschens aufgewacht und knallen brummend und zischelnd gegen ihre Scheiben. Vielleicht kann sie Cornelius auch überreden, all die Ritzen zuzustopfen, die die Fliegen gern zum Überwintern nutzen. Alleine wird sie mit dieser Arbeit niemals fertig.
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Ein Eintrag zu „Emely und der frühe Frühling in Kärnten“