Seit Tagen will ich mich hier her an den PC setzen und endlich wieder einen Blogbeitrag schreiben.
Und es passiert das, was immer passiert, wenn ich Wochen und Monate nicht hier herein schaue. Mein Anbieter hat die Software verändert. Nichts funktioniert mehr so wie vorher. Ganz genau so wie mein Leben. Wie unser Leben.
Vor vier Wochen haben wir den ersten ukrainischen Familienclan in unserer Gemeinschaft aufgenommen. Acht Menschen, fünf davon sind Kinder. Wir kennen das schon. Eine Notaufnahme. Die achtköpfige Familie findet kein passendes Privatquartier und soll zum dritten Mal in ein neues Lager umgesiedelt werden. Eine Freundin von früher meldet sich, schlägt Alarm. Und allen hier ist auf einmal klar: Jetzt. Jetzt nehmen wir die ersten Menschen auf. Wir sind zu diesem Zeitpunkt bereits in Verhandlung mit der Kärntner Landesregierung, um flüchtenden Frauen, Kindern und Familien eine temporäre Unterkunft zu geben. Und plötzlich geht alles sehr schnell. Vor einer Woche rollt ein Bus auf den Parkplatz und weitere 30 Menschen steigen aus.
Die Situation ist fast allen von uns nicht neu. Wir sind seit 2015 an den Herausforderungen gewachsen, wir alle. Dieses Mal soll es leichter gehen. Sagen die Verantwortlichen in der Politik und bei den Ämtern. Auf einigen Ebenen stimmt das. Sprachlich schwimmen wir einmal wieder allein durch die Gegend. Den Entwicklern sei gedankt, dass es Apps wie Google Translator gibt. Apps übersetzen ziemlich genau das, was Menschen sprechen. Oder auch nicht. Manchmal lachen wir uns kringelig, manchmal würden wir das Gerät gern an die Wand knallen, weil so ein Kauderwelsch herausquillt. Niemand in der deutschsprachigen Community spricht Russisch. Englisch sprechen von den 38 zugewanderten Menschen drei. Ein bisschen. Ungefähr so viel wie mein Vokabular für dem Urlaub in Kroatien ausmacht. Also wieder Google Translator… Die Sprache wählen. Den Aufnahmeknopf drücken. Sprechen. Auf die Übersetzung warten. Verstehen. Meistens…
Ganz langsam lernen wir uns kennen. Können die Kinder den Clans zuordnen, den Großeltern, Mutter oder Vater oder ihren Geschwistern. Die ernsten Gesichter der ersten Tage hellen sich auf, wenn wir einander im Haus oder im Garten begegnen. Mit Händen und Füßen erklären wir Kindern, dass Handys im Gemeinschaftsbereich unerwünscht sind. Binden wir Erwachsene in unseren Alltag ein. Erklären unendlich oft, was eine Gemeinschaft, eine Community ist. Drei Mal war bis jetzt eine Dolmetscherin da. Danach ging es für alle spürbar leichter weiter. Immer wieder erwische ich mich dabei, dass ich eine der Frauen auf Deutsch anrede. Sie mir auf ukrainisch antwortet. Und wir dann seufzend das Smartphone aktivieren, um es als Übersetzungsgerät einzusetzen. Wie sehr ich hoffe, dass die Deutschkurse Wirkung zeigen.

Sami fährt nicht mehr alleine zur Schule. Drei Buben fahren mit ihm. Einer geht sogar in seine Klasse. Die ukrainischen Kinder sind der Meinung, Sommerschule im August benötigen sie nicht mehr. Weil sie dann längst zu Hause sind. Was wissen wir schon… Die Oma macht sich Gedanken, ob sie in ukrainischer Erde begraben wird, wenn sie stirbt. Und schaut sich im nächsten Moment höchst interessiert unsere zwei Tinyhäuser an, die ihr bis jetzt nicht aufgefallen sind. Wir sind beide der Meinung, dass wir ohnehin nicht so schnell sterben, weil wir noch zu viel vor haben. Und dann umarmen wir uns.
Eine Frau im Alter meiner erwachsenen Kinder zeigt mir Fotos vom Seminarhaus, in dem sie bis zur Flucht tätig war. Ich bekomme Herzklopfen. Das Leben ist manchmal so weise. Sie fragt an, ob wir hier im Hotel Räume umgestalten könnten, um Seminare anzubieten. Beweist großes Feingefühl, mit uns geschenkten Musterstoffen, Pölstern und Dekostücken einzelne Räume so herzurichten, dass uns der Mund offen stehen bleibt. Danke Maria. Einmal mehr. Deine Stoffe erhellen und erheben unseren Alltag. Ich erfahre in langen Gesprächen mit Übersetzungs-App, dass sie gerne in Odessa geblieben wäre. Mit Kindern sei es aber einfach zu gefährlich geworden. In ihrer Wohnung leben nun Freund*innen aus Mariupol. Kinderlose Freund*innen. Sie geben nicht auf.

Vergangenes Wochenende hatten wir den ersten gemeinsamen Singkreis. Essen verbindet. Singen verbindet. Sogar die so ernsten Frauen aus Tadschikistan wippen mit den Füßen, singen ein bisschen mit. Die ganz kleinen Kinder reden mit mir. In ihrer Sprache. Ich hocke bei ihnen, höre ihnen zu. Bestätige, dass ich ihnen zuhöre. Und sie sind glücklich. Die größeren zwinkern mir zu, wenn sie wieder etwas Süßes aus der Küche stibitzen wollen. Oder das Handy unterm Tisch verstecken, damit ich es nicht sehe. Der Schwimmteich wird in diesen Sommertagen dauernd genutzt. Und heute Nachmittag haben alle Kinder Papier aus nicht brennenden Brennesselfasern, Farn und gepflückten Wiesenblumen geschöpft. Wir Erwachsenen können von ihnen lernen, wie problemlos sie sich verständigen. Lachen geht in allen Sprachen. Etwas zeigen auch. Und voneinander lernen sowieso.

Wir sind noch nicht ganz sicher, ob die 38 Menschen gern auf Social Media erscheinen wollen. Ich bin zurück haltend mit aktuellen Fotos. Genauso warte ich darauf, dass neben all der Arbeit für die Gemeinschaftsprozesse, die Integration von uns allen miteinander und das simple Zuhören via App, Zeit abfällt für meine künstlerische Arbeit. Auch diese Zeit wird wieder kommen..
