Mariposa ist das erste gestrickte Wesen, das mich heuer in ein neues Zuhause verlässt.
Ich stelle gestern mit Schrecken fest, dass ich Mariposa’s Entstehungsgeschichte wissenschaftlich für ein Kunststudium in England begleiten lasse. Ich sie aber hier nie herzeigte. Nur mit wenigen Fotos auf Social Media. Das hole ich heute nach, bevor sie nicht mehr bei mir sitzt.

Komm mit in eine nicht allzu ferne Vergangenheit. Es ist der April und Mai des Jahres 2020. Covid 19 macht die Runde, Lockdown. Es ist ein Jahr, in dem ich so viele Wesen herstellen werde wie nie zuvor. Ich sitze in meinem Elfenbeinturm namens Gartenatelier und gestalte und forme und entwickle. Ich mache auch beim Regenbogen KAL 2020 mit. Das bedeutet in diesem Fall miteinander zu stricken, gemeinsam mit der queeren Community, die dieses Jahr nicht auf die Straße darf. Eine liebe Bekannten aus Wien lädt ein, Regenbogensocken und Schals und Jacken und vieles mehr zu veröffentlichen. Ich stricke natürlich bunte Wesen, eine Katze, den Regenbogenfisch, eine Klapperschlange namens Elvira. Und bekomme Lust, ein menschliches Wesen zu erschaffen. Ich weiß von Anfang an, dass sie melangefarbene Beine bekommt. Ich fange also mit ganz dünnen Nadeln und dünner Restwolle bei ihren Zehen an und stricke mich über ihre langen Beine hoch zu einem Körper, der mit beiger Wolle gestrickt werden will. Es ist wie immer in diesen Wochen ein großes Herzklopfen, ob die Menge an Faden reichen wird, die ich zuhause habe. Und sie reicht. Juhuuu!

Ich habe eher selten eine klare Absicht, wenn ich mit meiner künstlerischen Arbeit anfange. Mariposa entsteht ganz intuitiv und ich höre auf das, was aus mir kommt. Als menschliches Wesen bin ich verbunden mit dem, was um mich geschieht. Und als die #blacklivesmatter Bewegung online und auf Social Media immer spür- und sichtbarer wird, hat das einen Einfluss auf das, was ich mit meinen Händen erschaffe. Mariposa sitzt lange Zeit als Körper mit Beinen und Füßen und Armen und Händen auf meinem Arbeitstisch. Ich lese und höre zu, was ich online finde. Arbeite an anderen Geschöpfen weiter. In mir entstehen Bilder, wie es mit ihr weiter gehen soll. Ich empöre mich über Menschen, die mit #exitracism so wenig anfangen können. Und entdecke in mir selbst systemische Ungereimtheiten, was den Umgang mit Menschen betrifft, die nicht so weiß sind wie ich. Rasse ist keine Schulblade für mich. Wir sind eine menschliche Form des Seins. Und trotzdem entdecke ich in mir eine Scheu, was ich denn jetzt noch sagen darf, ohne jemanden zu verletzen. Und wie ich damit in Zukunft umgehen soll. So kommt plötzlich ganz klar der Auftrag, dass dieser weiße Oberkörper eine Metamorphose erfahren wird – eine Metamorphose Richtung Buntheit. Ich häkle viele Tage an bunten Ornamenten, die ich Mariposa an den Körper hefte. Zugleich wird mir klar, dass sie einen ganz dunklen Hautton für ihren Kopf bekommen wird. Also filze ich mit der dunkelbraunsten Wolle, die ich glücklicherweise daheim habe, einen wunderschönen Puppenkopf. Sie bekommt schwarze halblange Wollhaare, die ich mit einer Regenbogenspange raffe.

Doch damit ist noch immer nicht genug an ihr gearbeitet. Als mir klar wird, welche wunderschöne Hose ich ihr an den Leib schneidere, entsteht in einem inneren Bild die Absicht, ihr Glasperlen an die Fußsohlen und Füße zu sticken. Glasperlen, diese fuzzikleinen Glasdinger. Wieder sitze ich tagelang und übe mich in Geduld und dem Versuch, jeden kleinen Stich zu genießen, der ihre Füße verstärkt und beschwert. Ob ich ihr unbewusst einen besseren Stand im Leben verleihen will? Rückwirkend sieht es so aus. Sie ist eigentlich ein Leichtgewicht.

Und dann ist sie plötzlich fertig. Ich führe mit meiner Freundin Helen in England intensive Gespräche wegen dieser Puppe. Lange Zeit habe ich das Bedürfnis, ihr einen bunten Papagei an die Seite zu stellen. Etwas in mir blockiert. Ich fange nicht an. Weil nämlich ein anderes Tier darauf wartet, von ihr gehalten zu werden. Ein schwarzer Rabe. Der Auftrag ist ganz klar da, eines Tages. Ich bin wahrlich nicht geübt darin, Tiere mit der Nadel zu filzen. Doch ich habe eine holzgeschnitzte Sitzfigur eines Huhns an einem meiner Regalränder sitzen. Und dieses dient mir nun, den sitzenden Raben clever zu proportionieren. Er bekommt einen gelben Schnabel. Und ich gebe auch dem kindlichen Impuls nach, ihm ein weißes Herz an seine Brust zu filzen. Ich bin wie so oft ein bisschen peinlich berührt von meiner Kindlichkeit. Und gebe ihr nach. Als ein paar Wochen später eine Freundin zu Besuch kommt, macht sie mich darauf aufmerksam, dass Raben auch Krafttiere sind. Wer mich kennt weiß, wie wenig ich über solche Zusammenhänge weiß. Doch als sie mir sagt, Raben stehen dafür, sich zu erheben und laut und deutlich zu sprechen, finde ich diesen Aspekt des Krafttieres Rabe passend für diesen großen Teil der Menschheit, der jahrhundertelang viel zu wenig gehört wird. Als ich Mariposa und ihren Raben zum Fotografieren hinsetze, fällt mir vor allem der vertrauensvolle Blickwechsel der blitzenden Rabenaugen und dieser Puppe auf – zwei unschuldige Wesen, die sich lieben, einander vertrauen und das auch wissen. Unschuld in Reinkultur.

Farewell, liebe unschuldige Mariposa mit Rabenfreund, ihr kommt in ein gutes, wundervolles neues Zuhause!
Liebe Lisa, wie Du mich mit Deiner Erzählkunst immer wieder ganz tief drinnen berührst…das Bedürfnis in mir erweckst, auf der Stelle mit Dir über die auftauchenden inneren Bilder und aufsteigenden Gedanken zu plaudern…Deine Wesen sind wie Kinder, die einen mit ihrer Unbedarftheit zum Nachdenken anregen.
Großen Dank, dass Du die Welt Deine einzigartige Kunst in ihren bunten, für mich kaleidoskopartigen Facetten schauen lässt!
Mariposa mit ihrem Raben und Yaruna mit Leo – ich glaube, sie hätten viel Spass miteinander und würden kaum aufhören können, sich auszutauschen, zu lachen und zwischendurch auch gemeinsam zu weinen – denn auch das gehört in ihr Leben.
Von Herz zu Herz, Christine
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liebe wunderbare Christine, danke so sehr für deine liebevollen Worte, dein aufmerksames Mitfühlen und mit Herz und Hirn dabei zu sein. ja, die beiden hätten sich so viel zu erzählen. mich wundert das überhaupt nicht. ich drück dich!
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