Mit einem heilen Ohr davon gekommen

Dieses Mal gibts eine Geschichte aus meiner Werkstatt. Voll real. Und voll Magie. Realistisch wie mein Leben. Seit ich Wesen und Puppen und Figuren herstelle.

Die Ratte. Frau Ratte. Sie begleitet mich, seit ich meiner Panik vor diesem Virus in diesem Jahr 2020 nachspüre, die sich auch in mir auszubreiten beginnt. Im Familien- und Freundeskreis treten Fälle von Erkrankungen auf. Ich darf mich zu den vulnerablen Menschen zählen, ich, die Lisa. Ganz sicher leicht übergewichtig. Ganz sicher Allergikerin gegen Impfstoffbestandteile, meine Impf-Ohnmachten sind legendär und werden genüsslich im Familienkreis herum erzählt. Von meiner Kurzatmigkeit mal ganz zu schweigen. Und meinen Liebsten oder meine Mutter oder eine verletzliche Person will ich unwissentlich schon gar nicht anstecken. Kennst du, weiß ich. Ist bei mir nicht anders. Als ich mich dieser Angst stelle – taucht Frau Ratte auf. Eine sehr entspannte, sehr geerdete Person. Sie wirkt wie ein weiser Bewohner aus Michael Ende’s Land Mandala, in das Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer reisen.

genähte Ratte, aufgezeichneter Augenentwurf und Mund, Stoffohren, Stoffkörper
Ich bin es, deine Ratte!

Diese Ratte, ganz offensichtlich weiblich, lächelt. Sagt mir mit blitzenden Augen, ich hätte einfach Angst davor, jämmerlich zu sterben. Und ob ich eh leben würde, so, als könnte ich jederzeit sterben. Und ja, alles gut. Wenn ich morgen tot sei, wäre es das wert gewesen. Ich solle mich an die Regeln halten, niemanden unwissentlich anstecken. Und weiter machen. Ich habe das Puppenmachen für mich entdeckt. Bissel langsam wär ich halt gewesen die letzten dreißig Jahre. Bissel uneinsichtig. Aber sie könne das jetzt auch nicht ändern. Weitermachen. In diesem Ton geht es laufend dahin. Frau Ratte steht lange hier bei mir am Schreibtisch, bevor ich sie zu den anderen Wesen packe, die auf eine Ausstellung warten. Die vielleicht kommt. Vielleicht auch nicht. Was weiß frau schon, was heuer im Herbst los sein wird.

genähte Ratte mit aufgestickten kräftigfarbenen Kreisen, purpurner Hosenanzug, Perlenarme und gestreifte Wadeln
hey there!

Und nun taucht mein derzeitiges Krafttier wieder auf. Krafttier. Sagt sich so leicht. Ich bin mit spirituellen Wesen überhaupt nicht auf du und du. Und – es fällt mir auf, wenn mich ein Wesen mehr beschäftigt als sonst. Dass merkwürdige Synchronizitäten auftreten. Ratten waren in Pestzeiten Überträger eines Virus, der Epidemien auslöste. Als ich bei der schamanisch arbeitenden Schwester meiner Freundin Sabine nachlese, was sie zur Ratte zu sagen hat, liest sich das inspirierend. Da hat dieses Wesen keine Bedenken, im Dreck zu wühlen, um Altes, Verborgenes auszugraben. Da ist die Rede von inneren Mistplätzen und der Herstellung neuer und unkonventioneller Ordnungen. Und von verborgenen Emotionen und verdrängten Energien, die mensch nun betrachten könne. Haben wir vielleicht heuer sogar das Jahr der Ratte?

Rattenfuß aus Zehenspitzen im Glockenblumenblütenmeer auf Holzständer
I can do it!

Als ich also meinen ersten Kopf mit FIMO knete, von dem ich nicht weiß, wer oder was er werden soll, verwandelt er sich unter meinen Händen in einen Rattenkopf. Unerwartet. Und irgendwie vollkommen logisch. Der Besuch der Homepage der fantastischen kanadischen Künstlerin Kate Church, die mir auf der Online Konferenz der amerikanischen Puppenmachergilde NIADA im Sommer 2020 auffällt, bringt Bewegung in die Sache. Ich liebe diese drahtigen Figuren, die sich recken und strecken und in den unmöglichsten Bewegungen verharren, die es beispielsweise im Zirkus zu bewundern gibt. Was für eine Körperbeherrschung, was für eine Dynamik, was für eine Spannung! Ich setze mich sofort hin und nähe wurfsackartige Körper, um mit Bewegung zu spielen. Passt eh gut. Diese quirlige Frau Ratte verlangt nach Gesellschaft, Ratten sind soziale Tiere. Los also. Dass ihr beim Brennen beinah ein Ohr abgefallen wäre, das hat sie glücklicherweise vergessen. Danke liebe Melanie für deine Frage, wer deine zerbrochene Keramik mit Gold reparieren könnte. Das Ohr meiner Ratte wurde mit Superkleber gepickt, mit Goldstift bemalt. „There’s a crack, a crack in everything, that’s where the light comes in!“ Nun strahlt und scheint sie also vor sich hin. Nein, Krönchen könne ich mir abschminken. Aber ich hätte doch noch Fellimitat in der Farbe ihres Wurfsackkörpers? Bitte, das möge ich ausprobieren. Und ja, wenn es sein muss, ich darf sie ein ganz kleines bisschen beglitzern und beperlen. Sie wäre auch ohne glücklich gewesen. Und ich solle mich ranhalten, sie quatsche mir sonst die Ohren voll. Eine Ratte brauche Ratten um sich. Wird gemacht, Hoheit. Ich knete schon wieder Fimo weich, damit ich damit arbeiten kann…

filigrane, tanzende Ratte, Arme sind oben, ein Bein nach hinten hinaus gestreckt, der vordere Fuß auf Zehenspitzen und durchgestreckt, vorherrschende Grundfarben Weiß, Türkis und Rosatöne
let’s dance

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