Marie, die Geldwäscherin

Zu wenig Kohle im Geldbörserl? Zu wenig Flieder am Konto?

Solche Probleme gehören für meine Marie in ihre ganz persönliche Vergangenheit. Oder besser gesagt: Marie van Piepen kennt diese Sorgen. Doch sie macht einmal in der Woche großen Waschtag. Wäschewaschen gegen die Sorgen. Online nachzusehen und nachzuhören auf meinem Youtube-Kanal. Samstag Vormittag hängt sie all die frisch gewaschenen, duftenden Scheine in den lauen Wind. Wo sie die Scheine her hat?

Ganz einfach. Marie van Piepen arbeitet schon seit vielen Jahren als Wäscherin in einer Putzerei. Weil es auch in der Putzerei mühsam ist, wenn Taschentücher in Hosen- und Jackentaschen vergessen werden, weil die Papierfuzzeln die ganze Waschtrommel verstopfen, lernt sie das als junges Mädchen als erstes. Also alle diese Taschen auszuräumen. Manteltaschen, Hosentaschen und Jackentaschen. Morgenmanteltaschen, Stofftaschen zum Umhängen und Pyjamahosentaschen. Anorak- und Skihosentaschen und nicht zu vergessen die schönen Balltäschchen der Prominenz. Menschen vergessen tatsächlich Geld in allen möglichen Taschen. Münzen ebenfalls. Die sind für Marie weniger interessant. Es geht ihr in erster Linie um all die schimpflich vernachlässigten Papierscheine. Sie hilft von Herzen gerne. Manchmal sehen diese arg verdreckt aus und müssen einige Stunden in Marie’s  Schaumbad einweichen. Fast immer bekommt sie sie sauber. Sie spült sie anschließend im Garten mit dem Schlauch ab und hängt dann all die Scheine fein säuberlich an die Wäscheleine. Hinter dem Haus. Sicherheitshalber.

Die Scheine sind ganz schnell trocken. Sie bestehen ja nur aus dünnem Papier und ein bisschen Farbe. Jeden Samstag Abend gönnt sich Marie einen guten Film und bügelt die Scheine sorgfältig. Danach knistern sie schön und sehen wieder aus – wie neu.

Scheine, Piepen, Kröten, Flieder, Kohle…

So kommt Marie gut durchs Leben. Manchmal verleiht sie ein bisschen Geld. Manchmal verschenkt sie auch ein bisschen etwas. Geldsorgen hat sie definitiv keine mehr…

Du möchtest wissen, wie Marie entstanden ist? Marie van Piepen kommt in einem längeren Prozess in dieses Leben. Beamen wir uns zurück ins Jahr 2020. Später Frühling. Wir sind mitten in der Pandemie. Im ersten Lockdown? Oder knapp vorm zweiten? Ich bin mir nicht mehr sicher… Mein Schulprojekt dieser Monate liegt auf Eis, wir hanteln uns online durch die Wochen. Uns Künstlerinnen geht langsam und sicher das Geld, die Piepen, der Flieder aus. Nicht aber die Ideen. Weil ich viel freie Zeit ohne Kundenaufträge habe, schreibe ich wieder Morgenseiten und zeichne mich neugierig in den Tag. Marie fließt eines kreativen Morgens durch meine nichtdominante linke Hand in mein Skizzenbuch. Und dort bleibt sie fast zwei Jahre. Sie spukt immer wieder durch meine Fantasie. Doch dort bleibt sie fürs erste. So elegant wie sie sich jetzt im Jahr 2022 präsentiert ist sie nie gedacht gewesen. Meine Wesen durchleben so gut wie immer Prozesse und Entwicklungen. Vor sechs Wochen meldet sich Marie van Piepen wieder bei mir. Dieses Mal vehement. Allerdings weigert sie sich, in Lockenwicklern und mit Zigarette im Mundwinkel vor Publikum zu erscheinen. Eigentlich wollte sie die Scheine mit der Waschrumpel durchkneten. Auch diesen Plan verwirft sie. Zu kalt. Zu nass ist dieser April. Außerdem war Lockdown kleidungstechnisch eine andere Zeit. Wir einigen uns in vielen Sitzungen und Diskussionen auf die Wäscheleine. Auf ihre wilde, glitzernde Buntheit und jenen Seelenanteil von ihr, der sich gelassen und zuversichtlich durch diese wilde Zeit manövrierte. Ihr süffisantes Lächeln bekomme ich nicht mehr aus ihrem Gesicht. Und ich finde, es steht ihr ganz ausgezeichnet. Allerdings auch dem Tabu-Thema „Geld“.

Das Rundherum stellt fast ausschließlich mein Liebster her. Er tüftelt zwei Wochen lang am Wäscheleinenständer und dem Boden. Wir suchen online und direkt in unserer Umgebung nach einem passenden alten Waschbottich und wieder ist es Alexander’s Idee, dass so etwas wie Konservendosen die Lösung sein könnten. Wir essen uns durch den Inhalt einiger Fischdosen, Aufstrichdosen und veganer Brotaufstriche. Und einigen uns auf das ovale Gefäß für den Thunfischaufstrich. Ich schleife einen Nachmittag lang den Werbeaufdruck von der Dose, glätte die Ränder. Währenddessen befasst sich Alexander mit Kunstharz und seiner Zwei-Komponenten-Herstellung. Plastikperlen aus meinem Fundus und ein Zufall im Spielzeugland (wir suchen eigentlich mal wieder einen Waschbottich) vervollständigen die Herstellung des so passendes Bühnenbildes, Marie’s Garten hinter ihrem Haus.

Es sieht ein bisschen so aus, als hätte Marie van Piepen bereits ein Herz im Sturm erobert und zieht demnächst in ihr neues Zuhause bei einer Adoptivfamilie ein. Ich stelle sie dir trotzdem auf meine Online-Plattform, du kannst gerne auch anderen Menschen von meinen Wesen erzählen. Sie und ich, wir freuen uns darüber, wenn es bekannter wird, dass durch meine Fantasie und Hände beseelte Wesen in die Welt ziehen, die Menschen mit ihrer Ausstrahlung stärken und beleben.

Die Scheine werden auf Zehenspitzen hinter dem Haus an die Wäscheleine in den warmen Wind gehängt…

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