Alima, Anna und die Amsel

Grüne Augen sind selten, sagen die erwachsenen Menschen. Grüne Augen mit gelben Sprenkeln sind möglicherweise noch seltener. Alima hat heute keinen guten Tag. Ihre Augen sind dunkelgrün. Ein bisschen wütendes Lila blitzt auch aus ihnen. „Nein, heute wird nicht getanzt und gesungen, heute besuchen wir deine Großmutter und bringen ihr einen Kuchen. Sie feiert Geburtstag! Iss dein Frühstück!“ Mama tanzt durch die Küche, summt ein Lied vom Sommer und von dem Mann, der dort am Tor auf sie wartet. Mama darf natürlich tanzen. Sie ist ja schon groß. Keiner sagt ihr, wann sie zu frühstücken hat. Welches kratzige Kleid sie heute anziehen soll. Und wie sie die Haare zusammenbinden muss, damit sie ihr nicht in die Augen hängen.

Alima und Ann

Alima löffelt den süßen Haferbrei in sich hinein. Bei Oma riecht in letzter Zeit alles komisch. Sie liegt den ganzen Tag im Bett und steht nicht auf. „Es zahlt sich nicht mehr aus. Am Abend muss ich sowieso wieder früh schlafen gehen. Also bleibe ich gleich liegen“, sagt sie oft zu Mama. Mama verdreht dann die Augen. Sagt nichts dazu und liest Oma aus der Zeitung vor. Lesen kann Oma nämlich auch nicht mehr. Sie hat beim Sturz ihre Brille zerbrochen. „Ich brauche keine Brille mehr, ich bin schon alt“, sagt sie zu Opa. Der ärgert sich, weil jetzt er das Geschirr abwaschen, den Boden kehren und die Einkäufe erledigen muss. „Werde du mal endlich gesund“, brummelt er oft. Und stöhnt und jammert.

Alima wartet auf den Winter

„Kommt Anna auch zum Geburtstagsfest?“ fragt sie ihre Mama. Anna ist die Tochter der Nachbarin, die manchmal für Oma einkaufen geht, wenn Opa sich zum Kartenspielen mit seinen Freunden trifft. Und Anna spielt Geige. Alima darf manchmal zuhören, wenn Anna ein Konzert gibt oder für eine Prüfung übt. Alima’s Papa spielt Gitarre und singt. So gerne würde Alima wieder einmal alle zusammenbringen und miteinander musizieren lassen. Dann könnte sie dazu tanzen. So wie damals beim Sommerfest, als plötzlich die Besucher Trommeln und Flöten und Gitarren und sogar ein Akkordeon auspackten und die ganze Nacht am Fluss Musik machten. Alima tanzte, dass ihre Zöpfe nur so flogen. Sie hat ein Foto geschenkt bekommen, das zeigt, wie sie zwischen den Feuerfunken wirbelt.

Alima und der Winter

„Bist du endlich fertig Alima? Hast du schon Zähne geputzt und die Schuhe hergerichtet, über die wir gestern Abend sprachen?“ Mama hat rote Flecken im Gesicht und am Hals. Das sind klare Anzeichen, dass sie jetzt gleich sehr grantig wird, wenn etwas nicht funktioniert. Alima isst ganz schnell zu Ende. Räumt ihr Geschirr in den Geschirrspüler, fetzt ins Badezimmer und steht in kürzester Zeit fix und fertig angezogen vor ihrer Mama. „Fertig Mama! Wir können dann fahren!“ Mama drückt sie kurz an sich. Papa ist mit dem blitzsauberen Auto aus der Waschanlage gekommen und wartet vor der Haustür. Seufzend schnallt Alima sich an und das Auto fährt los. Hoffentlich, hoffentlich wird das kein fader Nachmittag…

Alima und der Herbst

Und wer steht vorm Haus, stützt sich auf einen Stock und winkt, als sie rückwärts in der Einfahrt einparken? Oma und Opa strahlen um die Wette, als Alima jubelnd auf die beiden zustürmt. „Oma, du bist ja wieder gesund“, lacht sie. „Wurde auch Zeit, ich hatte schon Häute zwischen den Fingern vom vielen Geschirr abwaschen“, schimpft Opa. Er lächelt aber. Oma drückt ihre Enkelin fest an sich. Sie riecht wieder so wie früher. Nach Orangenblüten. „Kommt jetzt, Geburtstagtorte futtern, ab in den Garten“, lacht Mama. „Alima, hallo, ich habe schon so auf dich gewartet“, ruft Anna, die mit ihren Eltern am Griller steht.

Alima, die Neugierige

Würde jetzt jemand in Alima’s Augen sehen könnte er erkennen, dass sie hellgrün strahlen. So glücklich ist sie. Ihre Füße fangen wie von selbst an, zu springen. Sie hört den Gesang der Amsel am Nachbardach und muss sich zu der süßen Melodie drehen und winden und um die Gartenbänke unter den alten Obstbäumen tanzen. Lachend zieht sie Anna mit sich. Aus den Augenwinkeln sieht sie, wie Papa die Gitarre aus dem Auto holt. Die Melodie der Amsel nachsingt, Akkorde zupft und sich zur Musik wiegt. Alima singt zur Amsel am Hausdach hinauf. Die Amsel antwortet ihr mit einer neuen Melodie. Die Natur hält den Atem an bei dieser wunderbaren Musik. Von diesem Abend werden die Menschen noch lange erzählen…

Alima macht sich auf die Reise

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