Festzustellen, dass es im ganzen Haus keinen Messbecher mit exakterer Einteilung als Viertel oder Halb gibt liegt einerseits am Chaos, das wir derzeit als unser „Normal“ bezeichnen. Und andererseits am Loslassen. Denn ziemlich sicher habe ich in in den letzten Wochen mindestens einen Messbecher verschenkt, verflohmarktet oder entsorgt. Kennst du ja. Lässt du nach Jahrzehnten irgendwas endlich los – dann brauchst du es. Garantiert. Da kann ich persönlich Gift drauf nehmen.

Egal. Ich übe mich weiter im Loslassen. Einem freiwilligen Loslassen und einem Loslassen in Schritten. Niemand zwingt mich, ich mache das aus freien Stücken. Mit den dazu gehörenden Auf und Abs von weinerlichem Gejammer bis zur überschäumenden Begeisterung über die Erleichterung vom Losgelassenen.

Ganz anders als die Menschen in den Zelten auf Lesbos, die ihr bisschen Hab und Gut vor Regen, Wind und menschlichen Übergriffen schützen müssen. Ja, ich bekomme das mit, ich lebe nicht im Elfenbeinturm der kindlichen Kaiserin von Michael Ende. Und nein, es ist mir nicht wurscht, wie es anderen Menschen geht. Es zerreißt mir das Herz. Es macht mich wütend. Und dankbar, einen winzigkleinen Beitrag leisten zu können, weil es Menschen gibt, die aktiv werden. Zivilgesellschaft. Und ich weiß es ein bisschen mehr zu schätzen, wie gut es uns hier in Österreich geht. Falls es dich interessiert, wie es auf Lesbos zugeht und wie du in dieser aussichtslosen Lage (nein, parteipolitische österreichische Lippenbekenntnisse und Werbefotos in Athen sind keine Hilfe) in Europa doch mithelfen kannst, lies bei Doro Blancke am Blog mit. Wir. Sind. Europa. Wir alle.

Bis wir in einem oder zwei mobilen tiny houses mit Werkstatt leben und dann später auch unterwegs sein können, wird noch ein wenig Wasser die Gurk hinunter rinnen. Weder beneide ich meinen Mann um all die (geerbten) und angesammelten Dinge, die nun in neue Kanäle kommen müssen. Noch beneide ich mich selbst, wenn ich mich von geliebten Büchern trenne. Meine größte Hürde. Bücher. Und schöne Stoffe. Außer – tja, außer ich finde so geniale Interessierte, die noch immer vorbei kommen. Oder wie die Menschen in der Leihbibliothek unserer Freund*innen von Verantwortung Erde, die sich wie verrückt über Lesestoff freuen, der mir viele neue Erkenntnisse im Leben öffnete. Nun dient dieser Lesestoff vielen, vor allem jungen Forscher*innen und am Leben Begeisterten. Und das erhöht den Wert eines Buches in meinen Augen enorm. Wäre doch eigentlich überhaupt eine gute Sache, dieses Ausleihen, Herborgen, sich gegenseitig austauschen. Auf allen Ebenen. Je mehr wir in dieses Schenken kommen, desto mehr Möglichkeiten tun sich für uns auf. Und viele Dinge werden wir wieder in die Hand nehmen, weil wir sie geschenkt zur Verfügung stellen. Cool, oder?

Wofür ich den Messbecher brauche? Ja, genau. Neben Haus ausräumen, im Haus in die kleine Einliegerwohnung mit Küche und Bad zu siedeln und die Werkstatt wie ein tiny house einzurichten arbeite ich konzentriert und intensiv an meinen Kreaturen. Neben mir quillt Paper Clay im Gefriersackerl vor sich hin. In der hoffentlich korrekten Konsistenz, um daraus Köpfe zu formen. Mein Retreat, der so wunderbar geleitete und begleitete Workshop bei Johanna Flanagan und das Buch und Kennenlernen der amerikanischen Puppenmacherin Barb Kobe lösen einen Paradigmenwechsel in meinem Tun aus. Rückblickend sehe ich, dass es kostbar und wertvoll war, Zwerge zu stricken. Wesen für Kinder zu filzen. Zu nähen. Zu stricken und zu häkeln. Mir Methoden anzueignen, mit den Händen Techniken auszuprobieren. Von Anfang an ging es mehr um Wesen als um Puppen. Und vor allem ging es darum, wie ich mich dabei fühlte. Was ich beim Erschaffen dieser Wesen empfand. Und wie intensiv Menschen worauf reagierten. Auch jetzt, auf die ganz neuen Wesenheiten.

Egal, wie in meinem Leben ich mich künstlerisch betätige, ich komme immer an diese Tür, hinter der es darum geht, ehrlich, tief und im Dreck zu stochern. Das war beim Fotografieren so. Das war beim Schreiben so. Und nun geschieht das mit meinen lieben und netten Wesen. Noch drehe ich mich im Kreis und weiß vage wie ich es angehen könnte, „schiache“ Wesen zu machen. „Schiach“ ist österreichische Mundart und bedeutet Grauslich, Erschreckend und „Ich-will-gar-nicht-Hinschauen“. Gemeinsam mit einer Freundin wage ich mich in die tiefsten Tiefen unseres jeweiligen Unbewussten. Hinunter zu Glaubenskonzepten, Bildern und erlernten Annahmen, die wir so gern als „wahr“ und „normal“ betrachten. Aber auch hinein in eine magische und mystische Welt, die ich gerne ablehne, weil sie mir aus so vielen esoterischen und energet(h)ischen Kreisen wie ein fader Abklatsch dessen erscheint, worum es im Leben geht. Ums ganze Leben, nicht nur um die Rosinen im Kuchen. Um Erfahrungen. Und ums Hinschauen.

Parallel arbeite ich weiter an meinen Stoffpuppen, die mich erfreuen und von denen ich mich auch trenne, falls jemand Herzkopfen bekommt und sie gerne haben möchte. Einfach bei mir melden – du findest mich wie gewohnt auf Instagram, Facebook und Linkedin.

Für heute lasse ich dir ein paar Bilder unseres wunderschönen Gartenraumes und des daran anschließenden Waldes da. Sehr inspirierend, wie üppig die Farben noch einmal werden, bevor der Winter und die Kälte der Natur die meisten warmen Farben entzieht.
