Yasemine und das weibliche Handwerk

Wir sind hier in Stoberdorf in der neunten Woche unserer Quarantäne mit einem Homeschooler. Aus Gründen, würde meine Freundin Ina sagen. Irgendwann wurde es mir in den letzten Wochen zu langweilig, am Abend Pullover und Mützen und Socken für meine Wesen zu stricken oder zu häkeln. Abgesehen davon, dass sie diese tollen Stücke nicht übereinander anziehen können, war es vom Prozess her logisch, die Wesen selbst auf diese Art in Angriff zu nehmen. Häkeln fällt mir leicht, nur gefällt mir das Maschenbild nicht für eine Hautoberfläche. Also entscheide ich mich für das Stricken. Raus aus meiner Komfortzone, mal wieder. Yasemine und ein zweites Wesen entstehen. Von den Zehenspitzen bis zum Hals und zu den Handgelenken Strickmaschen. Mit einem Spiel feiner Sockenstricknadeln. Ganz old fashioned, immer in Runden und mit vielen Markern. Die übliche Zettelwirtschaft für auf- und abgenommene Maschen. Immerhin ein Hauch von Struktur. Das intuitive Stricken orientiert sich an meiner räumlichen Vorstellung der Schnitte für die Stoffwesen. Kopf und Hände werden später gefilzt, ich möchte dort keine Maschen sehen. Nach fast drei Jahren probieren und tun und studieren und lernen und wieder ausprobieren kann ich auf Einiges an Fertigkeiten zurückgreifen. Es wird spielerischer, leichter. Ich traue mir mehr zu. Und ich traue mich mehr. Es ist wie mit dem Lernen eines Instrumentes. Am Anfang sind in unserer Kultur die nervtötenden Etüden. Und irgendwann lernst du, dich zu lösen und zu improvisieren.

Ich erinnere mich rund um Yasemine an eine zwei Jahre zurück liegende Diskussion. Eine Freundin findet, dass es falsch sei, bei der Herstellung textiler Wesen und Puppen von „weiblichem Handwerk“ zu sprechen. Es würde zu sehr ausschließen. Wir forschen eine Weile, 2018 war ja DAS Jahr des Handwerks. Vom Bundesministerium beforscht werden Tischler, Schmiede und ähnliches Handwerk mehr. Nähen kommt in der wissenschaftlichen Arbeit vor. Und es ist viel die Rede von kaum mehr existenten Gewerben wie Schneider, Weber, Näher. Viele schöne Worte, tolle Lobgesänge auf das Handwerk und seinen immensen Wert für den Wert des immateriellen Erbes der Kultur einer Region. Aber monetär ineffizient. Häkeln, stricken, sticken? What? Ein Gewerbe? Nö. Als ich 2018 bei der WKO nachfrage, ob es eine Ausbildung oder Lehre für Puppenmacher*innen gibt, wurde mir nach zwei Wochen aus Wien und Klagenfurt beschieden, dass es das definitiv nicht gibt.

Für die Herstellung meiner Wesen braucht es eine Menge von diesem weiblichen Handwerk. Ich nähe von Hand und mit der Maschine. Aquarelliere und maskenbildnere. Ich stricke. Häkle und sticke. Filze und färbe. Webe und pflanze Färbepflanzen in unser Paradies. Ich lerne, mit Draht umzugehen. Ein bisschen florale Gestaltung kommt dazu. Um unser Schaf kümmert sich meine Freundin Hemma. Da fehlt mir jedes Können und Wissen. Ich kann Lara nur viel zu selten gernhaben und ein- oder zweimal im Jahr auf sehr unprofessionelle Weise ihre Wolle verarbeiten. Manchmal bin ich auch bildhauerisch tätig, mit Pappmaché oder Wolle. Für die Stabilisierung mancher Wesen bitte ich meinen Partner und die Maschinen seiner Tischlerwerkstatt um Hilfe. So viel Handwerk!!

Was ist das also? Meine Nähkenntnisse würden derzeit gebraucht. Ihr wisst schon, Masken nähen. Ich denke noch darüber nach. Dazu müsste ich ein passendes Gewerbe anmelden. Die Künstlerin näht nicht. Gewerbetechnisch. Doch was ist mit Fertigkeiten wie häkeln, stricken, sticken? Ein Handwerk wie tischlern und nähen? Ein feines unbezahltes Hobby zugunsten der Familie? Wie so vieles, das Frauen „freiwillig“ und unentgeltlich machen. War dieses Können immer schon „nicht systemrelevant“? Und wurde somit nicht mit Geld entlohnt? Ich weiß selbst zu wenig darüber. Bin bei meinen Nachforschungen allerdings auf Fragmente einer japanischen Tradition gestoßen. Herausragende „Künstler“, und dazu zählen auch kulturtechnische Fertigkeiten, wurden oder werden vom Staat insofern unterstützt, als man ihnen ein staatliches und lebenslanges Gehalt auszahlte. Voraussetzung: die Bereitschaft, dieses Wissen neben ihrer künstlerischen Arbeit in Form von vielen Jahren Lehre an junge Menschen weiter zu geben. Hier stehe ich mit meiner Forschung sprachbedingt an. Falls DU mir darüber etwas erzählen kannst, dann freue ich mich wirklich! Daran könnten wir hier in unserer Kultur vielleicht anknüpfen.

Falls du das Kaffeeservice meiner Kaffeetanten ebenso bewunderst wie ich, dann empfehle ich dir einen Besuch bei Rapunzel Naturkost im deutschen Regau. Dort wird in einem langen Prozess das Besuchercafé umgebaut. Ein Teil des Geschirrs bekam ein neues Design. Du weißt vielleicht, dass Alexander in den Anfängen dieser Firma aktiv dabei war, als Zeichner und Grafiker und Teil der Wohngemeinschaft. Er ist mit den Menschen dort verbunden geblieben. Der Winterauftrag für das Porzellandesign ist wunderschön in der Ausführung. So genial, wenn Alexander’s Arbeit noch ein bisschen sichtbarer wird.

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