Ängste und Schätze

„Lisa, wir können jetzt auf Schatzsuche gehen, da ist ein Regenbogen!“ Sami ist aufgeregt. Dunkel und bedrohlich sind die schwarzen Sturmwolken, die aus der Steiermark herüber winken. Ein leuchtender Regenbogen überspannt das ganze Tal. Es gibt viele Schätze draußen. Es ist warm. Im Winterapfelbaum neben dem Brunnenhäuschen pfeifen Stare. Sie futtern, was in ihre kleinen Mägen geht. Böig frischt der Wind auf, die Schafe trollen sich. Auch die Katzen sind unruhig und verkriechen sich. Und dann prasselt der Regen los und fegt der Sturm über uns hinweg. Glücklich über die eindeutigen Zeichen kehre ich zurück in meine Werkstatt und stichle und pinsle und stopfe und fädle weiter an meiner Elfe herum, die seit gestern Abend entsteht.

Meine Gedanken wandern noch einmal zurück zum Freitag, als Menschen so vieler Kulturen vollkommen problemlos miteinander sprachen, fotografierten, sich gegenseitig halfen oder Modell standen. Wie sehr ich mir wünschte, wir könnten noch mehr Menschen in diese für uns normalen Alltagserfahrungen einbinden. Wir haben ein gemeinsames künstlerisches, kreatives Ziel bei all unseren Aktivitäten. Eine Ausrichtung. Wir fotografieren zu bestimmten Themen. Nähen und Upcycling gehört für uns zum normalen Prozess. Malen und Holzwerkstatt sind momentan kein Thema. Ende November hat sich eine polnische Liedermacherin aus Feldkirchen für ein Konzert eingeladen. Wir kennen einander seit acht Jahren. Sie war dabei, als wir in St. Veit mit meiner Freundin Jutta grenzenlos gekocht und später auch gegartelt haben. Nach dieser langen Pause wird es der Seminarküche gut tun, wenn wir kochen und Rezepte austauschen und plaudern. Mit einem wunderschönen Abschlusskonzert.

Ich höre mir die Ängste der Menschen an. Auch ich mache unangenehme Erfahrungen. Aber Himmel, ich kann doch nicht von einzelnen schwarzen Schafen auf alle schließen! Ich lese von Erfahrungen im Umgang miteinander in sozialen Medien, in den Kommentaren zur Politik. Der Wahlkampf mit seiner Polemik hat Öl ins Feuer geschüttet. Auch nach zwei Jahren sind Ängste und gute Erfahrungen ungebrochen da. Derzeit scheinen die Ängste wieder Oberhand zu bekommen. Da hat man gehört und gelesen und wurde einem erzählt. Vor allem Grauslichkeiten natürlich. In meinem eigenen Kreis höre ich von allen möglichen Erfahrungen, vom Scheitern und vom Gelingen. Aber so viel ist schwarz oder weiß. Heiß oder kalt. Gut oder schlecht. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in so polarisierenden Zeiten gelebt zu haben. Muss selber gut auf mich achten, den Menschen zu sehen, nicht eine Schublade. Ich dachte, unsere Integrationsarbeit sei abgeschlossen und getan. Ich habe mich getäuscht. Wir machen weiter.

Meine Gedanken schweifen noch einmal zur Fotogruppe. Ich weiß seit Freitag, dass man mit Konsequenzen rechnen muss, wenn man auf eine Fullsensorkamera umsteigt. Alle Objektive ab 50mm sind unbrauchbar. Auch mit künstlerischem Gesichtspunkt ist die Vignettierung zu stark. Ich brauche also auch neue Objektive.

Wir sind für Mahdi auf der Suche nach einem halbwegs starken alten PC oder Laptop, an dem er die Fotos meiner uralten Kamera bearbeiten kann. Wenn er das schafft, was vor eineinhalb Jahren mein erster syrischer Schüler geschafft hat, nämlich mit dieser alten Kamera vernünftige Fotos zu machen, dann will er das. Hach, was für ein Oldtimer 😀 Wie gut es tut, Menschen wie ihm zu begegnen. Es scheint, als sei er Künstler durch und durch. Ich weiß noch so wenig von ihm. Er ist scheu und zurück haltend, wir treffen einander neuerdings beim Tanztheaterstück vom Verein VOBIS, das meine Freundinnen Klaudia und Laura anleiten. Mahdi macht, wenn er nicht mit dem Smartphone filmt oder fotografiert, afghanische Glücksbringer aus bunten Fäden. Arash war vor dem Krieg Grafiker und Fotograf. Das sieht man an seinen umwerfend schönen Kompositionen, die er am Freitag hergestellt hat. Ich bin sicher, wir werden uns gegenseitig genug Impulse geben, unsere Fotografie weiter zu entwickeln. Hussain wird in etwa zwei Wochen wissen, ob er und seine Familie in Österreich bleiben darf. Es geht mir selber nahe, wie nervös er ist. Das kann ihm niemand abnehmen. Brigitte und Gertraud haben überhaupt keine Berührungsängste mit den Jungs. Billan, der Restaurator und bildende Künstler, kommt wie immer eine halbe Stunde zu spät und bringt sich fließend mit seinem lila Schirm ein. Und verschwindet auch eine halbe Stunde früher wieder. Ganz neu dabei ist dieses Mal auch Levi, ein Jugendlicher mit seiner nagelneuen SLR-Kamera. Auch er ist vor allem mit seiner Kamera beschäftigt, schaut den anderen über die Schulter, wenn etwas erklärt oder ausprobiert wird. Keine Berührungsängste. Auch vor mir nicht. Kunst ist schon ein geniales Mittel, um Brücken zu bauen.

Der Samstag gehört meinen zwei Freundinnen aus der Puppenecke und einer interessierten Besucherin. Und heute arbeite ich überhaupt alleine vor mich hin. Die erste Elfe wird fertig. Ich mache Fehler. Im neuen Buch sind unglaublich viele Anleitungsfehler. Das zwingt mich, auf mein ganzes erlerntes Wissen des letzten Jahres zurück zu greifen. Mich beschäftigt, ob es einen logischen Zusammenhang gibt zwischen der Wollmenge, der Breite des Mullbindenschlauches, dem Kopftrikotstück und natürlich der Körpergröße der Puppe. Mathematik. Pur. Via whatsapp frage ich bei meinen Freundinnen nach. Nein, Erfahrungswerte sagt mir Hemma. Und abhängig davon, wie fest man wickelt und bindet. Gut. Schreibe ich mir eben die Erfahrungswerte auf. Von Puppe zu Puppe. Irgendwann wird sich schon eine Regel ablesen lassen. Vielleicht. Oder auch nicht.

Ich spüre, dass mit diesen Puppen, mit den dazu passenden Tragetaschen und dem Zubehör mehr möglich ist. Schön fände ich, wenn zur österreichischen Puppenmacher-Tradition einer Elli Riehl auch noch andere dazu kämen. Die waldorfartigen Wesen sind mein ganz persönlicher Ausgangspunkt. Ich weiß, dass im skandinavischen Raum die Herstellung von Puppen eine eigene Tradition hat. Auch Deutschland ist organisierter und gründlicher. Hier in Österreich ist es eine glückliche Fügung, jemanden in der Nähe zu wissen. Wir können hier locker noch ein Jahr weiter üben, lernen, ausprobieren, uns ganz neue Dinge trauen. Und wünschen, wünschen darf ich mir alles. In diesem Fall Männer und Frauen aus der ganzen Welt, die ihre Art, ihren Zugang oder ihr Interesse zu diesen Wesen mit in unseren Kreis bringen. Bitte auch gerne weiter sagen. Wir bleiben dafür als Praxis- und Erprobungsgruppe offen. Und geben einmal im Monat das bis dahin Erlernte an Interessierte weiter.

Genau betrachtet war das ganze Wochenende eine einzige Schatzfindezeit…

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