Aurica und die Unsicherheit

Unsicherheit ist die Abwesenheit von Sicherheit.

Die einzige Sicherheit im Leben scheint es zu sein, dass sich das Leben garantiert ständig verändert. Dauernd. Und in den eher seltenen Fällen, weil wir diese Veränderung wollen. Also bei mir jedenfalls. Nach 57 Jahren bin ich mir relativ sicher, dass ich über die Veränderungen eine Menge gelernt habe. Ganz sicher kann ich mir nie sein, du weißt schon, die nächste Veränderung, sie wartet schon ums Eck.

Ich bin eine, die von anderen ausgelöste Veränderungen im ersten Moment gründlich hasst. Dafür finde ich Gründe in meiner eigenen Biografie. Sie prozessual und Schritt für Schritt anzunehmen, hat mich das Leben gelehrt. Habe ich von Lehrer:innen in meinem Leben gelernt. Die Veränderungen im Idealfall zu lieben. Dankbarkeit zu entwickeln, wenn sich abzeichnet, dass sie tatsächlich für mich gut waren. Mittendrin in der Veränderung fühlt es sich oft genug schrecklich an. Mit jeder Krise, die Veränderung auslöst, steigt die Chance, sich ein bisschen vertrauensvoller durch die Krise zu bewegen. Das ist vielleicht auch ein bisschen der Vorteil, wenn mensch älter wird. Wir Älteren haben gelernt, dass Krisen dazu gehören. Dass sie ihren Schrecken verlieren können, wenn wir nicht nur Widerstand leisten. Nicht immer. Aber manchmal eben doch.

Was also, wenn wir lernen, mit Unsicherheit zu leben? In meiner jahrelangen Auseinandersetzung mit meiner eigenen Beziehungssucht komme ich dem Kontrollfreak in mir sehr rasch auf die Schliche. Kontrolle vermittelt Scheinsicherheit. Wenn ich dich kontrolliere, dann fühle ich mich vorübergehend sicher. Ich. Was mit dir ist, ist mir zu diesem Zeitpunkt eher gleichgültig. Dass du mein Verhalten höchstwahrscheinlich blöd findest, schrecklich findest, ist die andere Seite der Medaille. Aber meiner eigenen Unsicherheit ist für den Moment das Maul gestopft. Ich habe es in der Hand. Ich.kontrolliere.dich. Und wenn ich nicht aufhöre, dich zu kontrollieren, dann verliere ich dich. Ganz bestimmt. Kontrolle hält niemand lange durch. Du nicht. Und ich auch nicht. Unsicherheit ist ein Gefühl, Gefühlen kommen, Gefühle gehen. Auch das – ein Lernprozess.

Aurica sitzt hier vor dir für die Unsicherheit im Leben. Sie lernt, damit zu leben. Noch verbirgt sich der queere, bunte Fisch hinter ihrem Rücken. Glaubt sie jedenfalls. In Wahrheit ist er sehr gut sichtbar. Jeder sieht ihn. Aurica denkt, dass er gut verborgen ist. Dass sie ihn gut hinter ihrem Rücken versteckt. Doch dieses freundliche, strahlende Wesen muss überhaupt nichts verbergen. Sie bekommt von mir im Pridemonth Juni den Namen „Die Goldene“. Als Unterstützung. Für die Liebe, die sie repräsentiert. Und geht es nicht in diesem Leben am Ende ausschließlich darum? Dass wir geliebt haben in unserem Leben? Dass wir all den Schutt und die Steine von der Quelle weggeräumt haben, dass Liebe selbstlos fließen kann?

Selbstverständlich geht es um die Liebe in ihrer puren, reinsten Form. Wir alle haben unsere Verletzungen. Jede und jeder wird sich im Laufe dieses Erdenlebens mit Verletzungen auseinander setzen. Das bringen unsere Biografien in unseren Kulturen mit sich. Dafür gibt es einerseits den Freund:innenkreis. Die Reflexion, die Auseinandersetzung mit Strategien, die uns möglicherweise nicht mehr dienen. Und andererseits Therapeut:innen, nicht mehr ganz so neuerdings auch Traumatherapeut:innen, die uns unterstützen, aus dem Kreislauf des Verletztwerdens auszusteigen. Und tausend und eine andere Sache, die unterstützt. Mir persönlich hilft meine Kunst, die Art, mich auszurdrücken, Dinge mit Abstand zu betrachten. Sie mit Abstand zu sehen. Mit Abstand tut vieles weniger weh. Sehe ich mehr, weil das Gefühl meinen Verstand nicht vernebelt. Und mir hilft es, danach mit Vertrauten zu reden. Ganz ohne Lösung. Die Lösung kommt bei mir so oft aus mir selbst. Ich höre die Lösung, weil ich sie schon selbst ausspreche. Oder weil mir Menschen begegnen, Bücher, Situationen. Wir nennen das auf diesem Planeten „Leben“. Reden wir über unsere Unsicherheiten! Hören wir auf, sie zu verdrängen und mundtot zu machen. Es funktioniert eh nicht. Und was hilft dir, wenn dich die Unsicherheit im Nacken packt? Gerne lese ich mir deinen Kommentar dazu durch. Und lerne wieder etwas dazu.

Aurica spaziert heute Abend um 21 Uhr in meinen Shop und wartet dort auf ihre Adoption. Mit ihrem genial schön bestickten Lippfisch mit den zwei unterschiedlich gestalteten Seiten. Zu diesem Fisch inspiriert hat mich die grenzenlos gute Arbeit der Menschen im interdisziplinären Performanceformat schau.Räume in Villach. Wie gut es mir doch tut, dort in der Theatergruppe aktiv zu sein. Den bunten Lippfisch, der sein Geschlecht wandeln kann, kannte ich bis zu diesem Projekt nicht. Wieder etwas dazu gelernt. Und noch so viel mehr.

Wird verarbeitet …
Erledigt! Du bist auf der Liste.

2 Einträge zu „Aurica und die Unsicherheit

  • Sicherheit durch Kontrolle hat zwei Seiten, wie alles und es lohnt, die passende Mischung der Seiten zu finden. Wie stärkend, durch Texte wie deinen, erinnert zu werden, wie bedeutsam es ist, diese Balance zu haben… mit der Sicherheit etwas spielen, immer wieder loslassen, damit sie bleiben kann, fällt mir dazu ein. Danke liebe Lisa, für deine berührenden Worte. Herzliche Grüße Roswitha ❤️

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..