Pflanzenwinter und Hausgärtnerin

Wie sie hier gelandet ist, kann sie nicht mehr genau sagen. Wohl aber, warum. Da war eine Anzeige in dieser Zeitung im Intercity. „Atelier zwecks Überwinterung im Süden zu vermieten. Holzofen vorhanden. Kühlschrank auch. Bis wir wieder kommen“. Ob die Hausbesitzer jetzt ein halbes Jahr unterwegs sind. Oder ein ganzes, oder zwei oder drei. Eigentlich spielt das keine Rolle für Donna Leila. Was sehr wohl eine Rolle spielt, ist die Kälte, die täglich mehr wird. Zwei fiebernde und hustende Durchgänge am neuen Platz hat sie schon hinter sich. Gut für die Stimme, sie klingt dann schön tief und rau. Schlecht für die Stimmbänder. Die braucht sie noch. Wirklich gewöhnen wird sie sich an diese Temperaturen nördlich des Äquators nie. Aber, so haben es ihr ihre Freundinnen erzählt, kalte Füße sind das kleinste Problem. Das kennen hier alle. Warm anziehen, der Körper wird sich umstellen. Die Wintersonnenwende herbei sehnen. Spüren, wie das Sonnenlicht zurück kehrt. Und viel spazieren gehen. Das sei das beste Mittel.

singing in the falling leaves

Also spaziert sie. Ausreichend. Im nahen Wald. Die beim Haus lebenden Katzen spazieren bis zu einem bestimmten Punkt im Wald mit ihr mit. Dann kehren sie um. In der nahen Kleinstadt lässt es sich auch gut spazieren. Durch Geschäfte. Falls sie den einzigen Schulbus erwischt, der zwischen hier und da verkehrt. Wenn er verkehrt. Ihr wisst schon, dieser Virus, der neuerdings ganze Länder lahmlegt. Oder einen ganzen Planeten. Da kann sogar der Stadtspaziergang eine Herausforderung werden. Mit dieser einen vertrauten Bezugsperson. Oder doch mit zwei? Tinder hilft auf keinen Fall. Kurzfristiges Vertrauen ist gerade ein bisschen verpönt.

Donna Leila

Als sie diese Zeitungsannonce las, geriet sie ins Schwärmen. Ins Träumen. Verpasste ihren Ausstieg. Und fuhr dann einfach weiter. Magisch? Möglicherweise. Einer der Vorzüge des Reisens ist das WLAN an Bord. Die Hausbesitzer und Reisenden in spe waren heilfroh, endlich losfahren zu können. Und Donna Leila war heilfroh, einen Platz zum Überwintern gefunden zu haben. Einen Platz, an dem niemand sie vermuten würde. Ein sehr annehmbarer Bonus nach ihrem überstürzten Aufbruch vom englischen Kanal. Aus Gründen. Oh wenn Danielle nur wüsste, wo sie jetzt gelandet ist. Sie wäre sofort da. Mit all ihrem Drama und Trara. Mit Hund und Katz‘ und Kind und Kegel. Die letzten beiden Jahre waren eine gewaltige Hochschaubahn. Donna Leila wird immer noch ganz schwindelig, wenn sie zurück denkt. Klar war es auch schön mit Danielle. Vor allem das Singen. Danielle ist die Rhythmikerin im Quartett. Der Cellist, Musikstudent mit norwegischen Wurzeln und die Geigerin aus London – es war eine gute Zeit. Donna Leon schüttelt es regelrecht wenn sie daran denkt, jetzt Jahre mit einer entstehenden Familie zu verbringen. Eigentlich passt es ihr gut, dass sie so überhaupt keinen Kinderwunsch hat. Ihre Partnerin Danielle, die träumte schon von den gemeinsam adoptierten Kindern. Als ob die zwei Kinder aus ihrer geschiedenen Ehe nicht genug gewesen wären. Donna Leila träumt eher von langen Konzertreisen, von Gigs auf der ganzen Welt. Und von der Weiterbildung ihrer Stimme bei anderen Kulturen dieses Planeten. Nach diesen Lockdowns werden sich dafür sicher wieder Möglichkeiten bieten.

is there anybody at home? come sing with me!

Gestern hat der eisige Nordwind tagsüber klar gemacht, dass ihre Pflanzengeschwister, die Zitrusfrüchte, keine weitere Nacht im Freien ohne Lebensverlust durchstehen. Also hat Donna Leila all die Kübel, Töpfe und Schalen zusammen gesammelt und in Sicherheit gebracht. Und siehe da, es friert von einem Tag auf den anderen Stein und Bein. Pflanzenkinder sind definitiv einfacher zu betreuen als Menschenkinder. Langsam, ganz langsam bröckelt der Druck und all das schlechte Gewissen von ihrem Herzen. Der Druck der letzten Monate war für Donna Leila fast unerträglich. Und immer dieses Gefühl, falsch abgebogen zu sein. Während sie die ausgetrockneten Pflanzen zum ersten Mal innen im Haus gießt, rinnen ihr Tränen die Wangen hinunter. Es sind Tränen der Erleichterung. Tränen der Vorfreude und der Möglichkeiten. Sie wird all ihre Liebe in diese Pflanzenkinder investieren. Und sobald es wärmer wird, geht ihre Lebensreise weiter.

Ein Eintrag zu „Pflanzenwinter und Hausgärtnerin

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