Meine „Wirtschaft“ ist aufgeräumt. Zwei Tage intensivsten Nähens für einen Alles-andere-als-Nähprofi liegen hinter mir. Langsam biegt sich mein Kreuz wieder gerade. Mein Arbeitsplatz mit Nähmaschine am tiefergelegten Tisch mit Hocker hat endgültig sein Ablaufdatum erreicht. Draußen in der Garage wartet der aufgehübschte Upcycling-Schreibtisch. Ein ehemaliger Arztschreibtisch aus Sperrholzresten, nach dem Krieg gebaut. Der Umbau vor etwa 10 Jahren verkleinerte das wuchtige Ding. Der weiße Anstrich vor vier Tagen gibt ihm nun das Aussehen, das er für mein Atelier haben muss. Meine Eckbank ist gemütlich, wandert aber zurück in den Seminarraum. Das wird mein Osterprojekt. Frühjahrsputz und so.
Als Mittwoch Morgen mein Handy brummt und mir signalisiert, ich möge einen Kommentar auf der homepage freigeben und kommentieren, ahne ich noch nichts. Ich bin VOR meinem Morgenkaffee. Und ich bin so ein Morgenmuffel, sei froh, dass du mir zu dieser Zeit nicht über den Weg läufst. Eine Dame schreibt mir „Ich möchte Masken bestellen“. Liebe Grüße und eine Telefonnummer. Mein Hirn, schlafgrantig, ächzt. Wo um Himmels Willen hab ich geschrieben, dass ich Masken mache? Bei meiner Coachin? Ich reiße mich zusammen, schreibe Unverfängliches und das Versprechen, mich zu melden.
Zehn Minuten später. Ich richte mir gerade meinen lebenserhaltenden Kaffee. Telefon. Eine total freundliche Frau erzählt mir, da wäre eine Artikel in der Kleinen Zeitung. Ob ich die Künstlerin sei, die auch Atemschutzmasken näht. Jetzt fällt der Groschen! Genau! Ich wurde ja letzte Woche interviewt. In dem Einerlei der Quarantäne habe ich das sofort wieder vergessen. Danke geschätzte Mittelkärnten Redaktion, das war ein super Bericht über Einige von uns, die nun das tun, was eben nötig ist. Genau. Nähen.
Zwei Tage lang rattern Maschine und Hirn. Natürlich geht auch mir der Einziehgummi aus. Die gewohnte gute Nähseide. Und mir wird so Einiges klar, was jetzt möglich ist. Nämlich andere fragen, ob sie noch Material haben. Beziehungsweise kreativ werden mit Ersatz für Ausgehendes. Danke Barbara für den Tipp mit den Jerseywürschteln, na klar! T-Shirt-ReUse! Und ich kann Garn eindrehen. Du weißt schon. Türgriff, Garnfäden, Bleistift – und drehen! Und irgendwann kann ich auch sagen: Danke, genug! Es gibt so viele andere Menschen, die diesen Dienst an der Gemeinschaft leisten und ihre Nähfähigkeiten zur Verfügung stellen. Ich muss nicht alles allein tun. Wir können die Arbeit gut untereinander verteilen. Wirtschaften miteinander. Wirtschaften ohne Wachstumszwang. Eine Form von Wirtschaften, das auch andere Menschen zum Zug kommen lässt. Frauen-Wirtschaft?
Als mir das so richtig klar wird, nehme ich Tempo aus dem Zuschnitt, aus dem ratternden Nähen wie im Schlaf. Bügle ich liebevoller jede Kante. Denke beim Nähen herzwarm an die zukünftigen Träger*innen. Wir haben ja immerhin ein Weilchen miteinander telefoniert, um uns über den Stoff und die Trageweise zu einigen. Ich höre von panischer Angst vor dem Virus bis zur Notwendigkeit, die Maske den ganzen Tag zu tragen. Ich nähe nicht für Geld. Ich nähe für Menschen, um Ängste zu verkleinern. Um Gesundheit zu erhalten. Um sie zu stärken. Und ja klar, die Post will sich den Transport bezahlen lassen. Ich verbrauche Material und Strom. Das wird ausgeglichen. Und ist so stimmig für mich, für meine Situation, die mit keiner einzigen anderen Situation von anderen Freiberufler*Innen oder EPUs zu vergleichen ist. So viel wird gerade sichtbar. Es ist überhaupt nicht nur zum Lachen.

Was mich durch diese Tage trägt ist Musik. Bis zum Anschlag aufgedreht. Oder leise im Hintergrund. Allein im Studio singe ich so laut vor mich hin, dass ich nicht einmal meinen Mann höre, der mich zu den Mittagessen ruft. Der blitzeblankeblaue Himmel aus meiner Kindheit. Freundliche Wölkchen, keine Streifen. Genau. Freundlichkeit. Die Freundlichkeit der Menschen. Unser Teilzeit-Hippie-Auto ist arg beleidigt, weil es nur mehr von Stoberdorf zur Volksschule. Von Stoberdorf zur Post. Von Stoberdorf zu Billa und Hofer. Fahren darf. Es ist daran gewöhnt, am Wochenende Richtung Meer zu düsen. Uns in sich zu beherbergen. Und was tut ein beleidigtes Auto? Genau. Nicht mehr anspringen. Der junge gelbe Engel lacht. Wie viele Kilometer das Auto schon hätte? Waaaaaas? So viel? Und dann ist es Gott sei Dank doch nur eine leere Batterie. Und wir müssen eine halbe Stunde sinnlos durch die Gegend fahren, um sie wieder zu laden. Okay, lieber Gefährte, ab sofort werden wir einmal in der Woche ausfahren. Mal sehen, wem wir das unterwegs erklären müssen. Ist ja doch sowas wie ein Zwangsausflug, gell?
Freundliche Handytelefonate mit Video tun mir gut. Mitten drin im Alltag von Freund*innen. Und ich bekomme snail mail aus Wien. Von der geliebten Tochter und Enkeltochter, die auf zwanzig Quadratmeter in der Quarantäne hocken. Eine so tolle Zeichnung. Eine so tolle Kette. Quarantäneschmuck. Restelverwertung, weil für die Kinderküche Spielnahrungsmittel aus selber gemachtem Salzteig hergestellt wurde.
Ich habe gefühlt drei Wochen Nähen gelernt. Petra, meine Lehrerin, sie wäre stolz auf mich. Meine alte Nähmaschine kann viel mehr, als ich ihr zutraue. Vor allem finde ich die Einstellung der Nadel in der Mitte, links und rechts sehr hilfreich. Es tut einer Maschine gut, sie zu reinigen. Ihr ab und an einen Tropfen Öl ins Getriebe zu gönnen. Zu meiner Freude ist heute das Packerl mit den Stickfüßchen gekommen. Dem free motion embroidering steht nun nichts mehr im Weg. Doch wie immer ist das eine andere Geschichte…
