Als Zehnjährige nach einer schweren Lungenentzündung war ich eines Sommers mit Mutter und Schwester zum ersten Mal am Meer. An der italienischen Adria, ein bisschen weiter südlich als es uns Kärntner sonst hin verschlägt. Die Meeresluft sollte mir und meiner hustenden Schwester gut tun. Für mich änderte sich das ganze Leben. Zum ersten Mal keinen Berg unmittelbar vor der Nase zu haben, sondern Weite, scheinbare Endlosigkeit, salzige, fischige Luft. Eine Wasseroberfläche, die gefühlt unmittelbar neben der Straße anfängt. Menschen, die einem nahe kommen, viel und laut lachen und reden. Voller Begeisterung über den Trubel tappten wir Mädchen sofort in die Fotofalle eines Fotografen, dessen Assistent ein winziges Löwenbaby kraulte. Herzklopfen und Neues, wohin wir kamen.
Am Strand sah ich zum ersten Mal strickende mammas und nonnas. Sie fuhrwerkten nicht mit den Nähnadeln herum wie ich und meine Mutter zum damaligen Zeitpunkt. Sondern klemmten sich die langen Nadeln unter die Achseln und erreichten mit sehr flinken Fingern, dass der Wollberg elegant schwand und Gestricktes entstand. Meine Neugier blieb, auch wenn ich keine Antwort bekam. Immer wieder studierte ich später aus den Augenwinkeln diese strickenden Frauen in Italien. Schlau wurde ich nicht daraus.
Bis vor zwei Wochen. Orsola strickt italienisch. Mit richtig dicken Nadeln. Minimum 10, ich sehe zum ersten Mal auch eine Stärke 35. Als ich zu Hause mit Nadelstärke 15 arbeite wird schnell klar, dass was dran ist an dieser anderen Art zu stricken. Ich habe das Gefühl, kleine Äste in der Hand zu halten. Das Strickbild ist ungleichmäßig. Irgendwas scheint an der Art des Andersstrickens dran zu sein. Also frage ich Frau Google um Rat. „Italienisch stricken“ ist meine glorreiche Idee. Das ist eine Art von flexiblem Anschlag für Pullover. Nicht was ich suche. Als ich nach einer Stunde entnervt aufgeben will, fällt mir ein, ich könnte ja im englischsprachigen Raum schauen. Ich lande durch einen Zufall bei einer Strickerin, die den Faden nicht auf der linken Hand sondern auf der rechten hat. Und siehe da, sie macht genau diese Fingerbewegungen, die ich suche. Zwei Stunden später halte ich erste Probestücke in der Hand. Komme mir vor wie die Totalanfängerin, das Hirn verknotet sich dauernd. Aber – ich stricke „english style“. Nicht „continental“ wie wir hier. Wir rätseln via whatsapp, warum die italienischen Frauen diese Art zu stricken lernen. Ob es mit der ehemaligen Seemacht Italien zu tun hat? Ein bisschen nördlich der Karawanken lernen wir als Mädchen nur die andere Art kennen. Im skandinavischen Raum und bei den Puppenmacherinnen sehe ich dann wieder hauptsächlich die englische Art. Sehr mysteriös. Welche Fragen doch beim Stricken entstehen können 😀
Zwei Wochen später kann ich sagen, ich nutze beide Arten. Für den Rand und das Bündchen gefällt mir das englische Maschenbild besser als das kontinentale. Der Anschlag gefällt mir besser, so wie ich ihn gelernt habe. Und natürlich bin ich auf die vertraute Art wesentlich schneller, obwohl ich „englisch“ die Nadeln nicht mehr ganz so linkisch und verkrampft halte wie vor zwei Wochen. This process is to be continued…
In meinem Kopf formt sich beim Strickenüben eine neue Puppe. Sie soll die Knie abwinkeln können, um in Regalen und auf Fachböden zu sitzen. Nicht ganz so kindlich sein wie meine Elfen und Babies. Ein bisschen erwachsener, mit entsprechenden Proportionen. Ich zeichne einen Tag lang herum, verpasse ihr längere Beine als üblich, schmalere Arme. Sie soll allerdings einen geformten Kopf haben. Nicht babylike, sondern mindestens eine junge Erwachsene. Monika hat mir ihren schattierten Strickjersey geschenkt, aus dem sie früher für ihre Kinder Puppen gemacht hat. Mir scheint dieser eher grobe Rippenstrick perfekt zum modisch dick gestrickten Pullover zu passen. Gedacht. Gemacht. Die italienische Prinzessin Orsola erwacht zum Leben.
Meine Freundin Gabi hat mir vor ein paar Wochen eine große Menge weiße, dicke Wollreste geschenkt. Daraus entwickle ich eine sehr schicke Aufsteckfrisur. Und dann die dringend nötige Strickwolle. Ich drösle die ineinander verdrehten Stränge auf und beginne, meine Herausforderung in klein zu stricken. Und tja, seit gestern trägt Prinzessin Orsola einen Jumper Marke #knittedlove. Die Miniaturausgabe. Perfekt zum Üben. Zum Fluchen und Trennen und Neuanfangen mit Übungswolle und nicht mit der kostbaren Merinowolle. Der dreifache Zopf, der mir eine Menge Kopfzerbrechen bereitete, gelingt nun. Ausnahmsweise nicht Dank Frau Google. Zwei völlig falsche Anleitungen später schalte ich mein Hirn ein und komme selber drauf, wie er funktionieren kann.
Prinzessin Orsola lächelt in der Herbstsonne des Wintergartens milde und wartet geduldig, bis das gute Stück spät Nächtens fertig ist. Ich merke schon, sie ist wirklich eine Dame. Der Raglaneinsatz sei unzufrieden stellend, das bekomme ich zu hören. Dafür bekommt die kleine italienische Prinzessin Overknees aus feinem Verbandsmull. Und als krönenden Abschluss upcycle ich eine Glassteinborte einer Damenjacke, die auf weitere Verarbeitung wartet. Mit all dem Gefunkel und den Weißtönen wirkt sie wie eine italienische Schneeprinzessin. Beim Fotografieren kommt mir, dass ich nach diesem Prototypen eine weitere Puppe machen werde, die im Körperinneren beschwert ist und eine bessere Sitzfläche bekommt. Ich habe schon eine Idee, wie das gehen könnte. Auch die Knie schaue ich mir noch genauer an, sie dürfen damenhafter werden.
Danke übrigens ihr großzügigen Wissensteilerinnen und Wissensteiler online. Ich habe bei meiner Suche so viel über internationales Handicrafting erfahren wie überhaupt noch nie. Einige Seiten haben mir Fragen beantwortet, die ich mir schon lange stellte. Brauchbares von Unbrauchbarem trennen muss frau halt selber. Für all die brauchbaren Ergebnisse liebe und schätze ich diese weltweite Plattform.
Wunderschön liebe Lisa. Ich freu mich sehr dass meine Wolle eine so schöne Prinzessin zieren darf 🙂
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Danke dir! Sie kam grad perfekt und rechtzeitig in unser Leben 😀 ❤
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