Nähen und Politik

Gestern im frühmorgendlichen Gespräch war ich einmal mehr mit dem derzeit stattfindenden Abschiebewahnsinn konfrontiert. Nein, wir schweigen sicher nicht. Und ja, es verschlägt auch mir manchmal die Sprache. Im Jahr 2018 werden hoffnungsvolle Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Hunger und dem Kampf zwischen Familienclans unter mühsamsten Bedingungen den Weg nach Österreich geschafft haben, zurück in eine Heimat geschickt, die Jahre lang keine Heimat mehr war. Sondern Auslöser für Angst, Furcht, Trauma und den Wunsch, die schwierigsten Jahre irgendwo anders zu (über)leben. Nein, wir können uns das nicht wirklich vorstellen. Auch ich nicht. Und nein, Afghanistan war und ist derzeit kein Ort, an dem ein gedeihliches Aufwachsen für Familien und Kinder möglich ist. Wir hören die Geschichten. Sie ähneln einander. Es gibt gute Gründe, dass Menschen aus Afghanistan geflohen sind, schon viele Jahre in den Nachbarstaaten versucht haben, durchzukommen. Immer wieder rinnen mir die Tränen runter, wenn ich die Biografien höre. Wenn ich die Hoffnung höre, die auf einen Neuanfang in Österreich gesetzt wurden. Dann staune ich wieder über die Hoffnung, die unbändige Hoffnung der Menschen, dass alles einen tieferen Sinn hat, zu einem guten Ende kommen wird.

Ich kann das derzeitige System nicht ändern, es wurde stellvertretend für die Meinung vieler gewählt. In Österreich ist es möglich, unterschiedlicher Meinung zu sein. Vielleicht entwickeln wir uns tatsächlich zu einer Demokratie, das wird die Zeit zeigen.

Solange diese Meinungsvielfalt möglich ist, solange kann ich hier in Österreich leben und tätig sein. Wenn ich mich angesichts der persönlichen Schicksale Einzelner so hilflos fühle wie jetzt, dann erscheint es zwar wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Doch ich tue genau hier und in meinem Umfeld so viel als möglich für jene Menschen, die Hoffnung haben. Das mache ich auch für mich.

Schaut in die Augen dieser Menschen, die wir als „Flüchtlinge“ in einen Riesentopf schmeißen. Schaut in die Augen jener Menschen, denen die Angst vorm Fremden, vor der Veränderung einredet, sie würden gerne die Zeit zurückdrehen und das „Alte“ wiederhaben wollen. Sprecht mit ihnen, hört ihnen zu, erzählt von euch. Baut Brücken zwischen uns Menschen. Egal, wie voreingenommen wir sind – und ja, grad dort – baut Brücken, dafür haben wir unsere Sprache über so lange Zeit entwickelt. Dafür haben wir unsere Empathiefähigkeit, dafür haben wir unsere Herzen. Für mich ist das Politik. Politik betrifft das Gemeinwesen, also jeden einzelnen Bürger. Auch mich. Ich bin wie jeder von uns mitverantwortlich, wohin wir uns als Gesellschaft entwickeln. So wie jeder von euch auch.

Danke liebe Eva D. für das tiefgehende, ermutigende, austauschende und bestärkende Gespräch. Junge Menschen wie du, diese anpackenden Menschen im Alter meiner erwachsenen Kinder, machen mir Mut. Eure Generation ist es, die man fragen sollte, wohin der Weg gehen wird…

Das war der gestrige Tag in Bildern. Abgesehen von den vielen Gesprächen, einem Vortrag, unzähligen Telefonaten und Terminvereinbarungen für die nächsten Wochen wieder ein ganz normaler Tag.

2 Einträge zu „Nähen und Politik

  • Ich kann dir nur aus ganzem Herzen zustimmen. Was geschieht soeben in Österreich? Fast täglich verkündet die Regierung Verschärfungsmaßnahmen gegen Flüchtlinge. In Europa werden Grenzen geschlossen. Das erinnert mich an die Kriegszeit. Damals machten auch Länder ihre Grenzen dicht, obwohl man wusste, was in der Nazi-Zeit mit Juden geschah… ja, es ich wichtig, dass wir und nicht von politischen Stimmungsmachern verblöden lassen …

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    • Liebe Rosemarie, Danke dir für deinen Beitrag!

      Niemals in meinem Leben hätte ich gedacht, dass das in der Schule Erfahrene, Nichtverstandene, Nichtnachvollziehbare sich auf eine so ähnliche Art und Weise auf einer aktuellen Bühne des Lebens wiederholt.

      An meine Generation und die Generationen hinter mir: Lernen wir Geschichte. Lernen wir Menschsein mit Herz, Hirn und Weiterentwicklung.

      Ich lerne jeden Tag eine neue Facette dazu, lerne auch mich und meine Vorurteile ein bisschen besser kennen. Lerne mit Konflikten umzugehen. Aus der hilflosen Erstarrung zu erwachen, aus meinem gigantischen Netzwerk aus Allem-was-Ist Kraft und Energie zum Weitertun zu schöpfen. Brücken zu bauen. Und jenen zu geben, die an einem anderen Tag genau erschöpft sind und an ihr inneres Potential erinnert werden müssen.

      Wir sind aus einem bestimmten Grund JETZT auf diesem Planeten. Davonlaufen geht nicht (mehr), der Abschied von diesem Planeten kommt für jeden von uns noch früh genug.

      Herzensgrüße aus dem Süden liebe Seelenfreundin!

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