Kunst statt künstlicher Erregung

Debussy-Klänge plätschern an mein Ohr. Mein Atelierofen hat es endlich geschafft, die nächtliche Kälte zu vertreiben. Draußen rieselt lautlos Schnee vom Himmel. Tiefer Winter eines Jahres, von dem ich wie alle anderen nicht weiß, wohin es sich entwickeln wird. Meine Intuition hat mir geraten, keine Vorsätze zu fassen sondern offen und bereit zu sein für alles, was kommt. Wie geht es dir so in der Mitte dieses ersten Monats des neuen Jahres? Spürst du schon, dass das Tageslicht wieder mehr wird? Die Bauern arbeiten wie wild im Wald, das bedeutet vermutlich, dass der Saft in den Bäumen demnächst zu steigen beginnt und es hoch an der Zeit ist, Brenn- und Bauholz zu schlagen.

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Loslassen in Schritten

Festzustellen, dass es im ganzen Haus keinen Messbecher mit exakterer Einteilung als Viertel oder Halb gibt liegt einerseits am Chaos, das wir derzeit als unser „Normal“ bezeichnen. Und andererseits am Loslassen. Denn ziemlich sicher habe ich in in den letzten Wochen mindestens einen Messbecher verschenkt, verflohmarktet oder entsorgt. Kennst du ja. Lässt du nach Jahrzehnten irgendwas endlich los – dann brauchst du es. Garantiert. Da kann ich persönlich Gift drauf nehmen.

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Textile Skulpturen und unsichtbare Mächte

Die Eremitin in mir schränkt die Zeit auf social media auf ein Minimum ein. Das ist kein Alleinstellungsmerkmal. Offensichtlich treffen diese Entscheidung mehr Menschen. Abos von besonders ängstlich nach Kontrolle schreienden Menschen aus der timeline zu entfernen ist eine Erleichterung. Wenn das Recht, recht zu haben, regiert, nehme ich mir das Recht, auf meine Art mit meiner Lebenszeit umzugehen. Und mit Menschen in Verbindung zu bleiben, die zuhören können, ohne zu missionieren, zu belehren oder ihre starren, engen Glaubenskonzepte wie Kriegsgebiete zu verteidigen. Es ist was dran, dass man Menschen erst in Krisenzeiten kennen lernt.

Wohl zum ersten Mal in meinem Leben gibt es keine Ablenkung durch einen geregelten Alltag. Unsere stille Entscheidung im Vorjahr, das große Haus in den nächsten Jahren für andere Menschen in einer Art Nachbarschaftsgemeinschaft mit Werkstätten zu öffnen und mit unseren Händen in kleinen Wohnraum zu investieren war richtig. Für uns. Gott sei Dank haben wir darauf gehört. Nichts geht von heute auf morgen. Abhängig davon, ob wir heuer Material ertauschen oder anschaffen können wird es weiter gehen. Ein Schritt nach dem anderen.

Mein Atelier ist mehr oder weniger fertig. Wie ich mich über die zwei gerade fertig gestellten Fensterumrandungen nach Süden freue! Nach den gefühlt eiskalten Monaten zu Jahresbeginn ist klar, dass noch eine Bodenisolierschicht dazu kommen wird. Fliegen, Wanzen, Marienkäfer und ähnliches Getier brauchen Grenzen, die zu befestigen und zu silikonieren sind. Der neue alte Arbeitstisch im Retrochic ist wunderschön anzuschauen und ein Segen für meinen Rücken. Der ganze Raum hat an Größe und Effizienz gewonnen. Die kleine ausziehbare Traumcouch lebt in meinem Kopf und wird ihren Weg zu mir finden, wenn die Zeit gekommen ist. Derzeit behelfe ich mir mit den Matratzen unseres ungenutzten Reiseautos. Und wir überlegen schon, wie sich eine auszieh- oder ausklappbare Holzkonstruktion gestalten ließe.

Ich arbeite an völlig neuen Köpfen. Es waren wirkmächtige Schritte, Grundsätzliches über den Aufbau von Puppenkörpern und Puppenköpfen aus der Technik der Waldorfpuppen zu lernen und auszuprobieren. Diese Art der Herstellung wird immer die Basis sein, die mir künstlerische Umsetzung ins Figurale ermöglichte. Und für kleine Wesen passt diese Herangehensweise weiter. Das Wort „Puppe“, das mir jahrelang gegen den Strich ging, mich triggerte und ärgerte war rückblickend betrachtet mein Prozess, der Einstieg in meine Kunst. Nun geht es ans freie Formen. Ich studiere Gesichter, Münder, Nasen, Augen und Ohren. Es ist ein Unterschied, ob ein menschliches Wesen lacht, weint oder giftig schaut. Der Ausdruck von Gefühl im Gesicht ist spannend. Zeichnend und malend kam ich nicht so recht weiter. Meine Welt ist das Formen mit den Händen. Daraus kann ich dann Schnitte ableiten, die auf Papier landen. Geometrische Körper und sie als Schnitt auszurollen beschäftigt mich, die Mathematik-Geschädigte. Da heilt wieder etwas. Derzeit scheinen die entstehenden Köpfe meiner Innenwelt zu entsprechen. Sie sind bunt und ich bemale sie mit Fäden, mit gefärbter Wolle, Pailetten und Perlen. Gehäkeltes und Gesticktes kommt zum Einsatz. Unglaublich, wie viele tutorials es dazu im Internet gibt! Im Hinterkopf warten Ideen für freie Applikationen mit Textilien und Stickfuß der Nähmaschine. Für den nächsten Kopf. Groß. Ich muss immer wieder groß arbeiten, mit dem ganzen Körper, unter Einsatz all meiner Kraft. Manchmal ist der entstehende Kopf größer als mein eigener. Immer kommt Material zum Einsatz, das ich bereits daheim habe. Danke Maria für den kostbaren Schatz an wunderschönem Material, auf den ich immer und immer wieder zurück greifen kann. Beim Herstellen der Köpfe entwickeln sich in meiner Fantasie Umsetzungsmöglichkeiten stabiler Körper für eine Ausstellung. Auch die haben mit dem Material zu tun, das ich in unseren Lagern finde. Drähte. Hölzer. Textilien und Dekorationselemente. Dieses Suchen und Finden setzt unglaublich viel kreatives und logisches Potential frei.

Nach Merime und dem Geldfresser beschäftigt mich nun ein Magier. Oder eine Magierin. Es ist vollkommen unklar, ob er eine Sie wird oder ein Er oder beides. Unser Jüngster sucht einen Namen für diese Figur. Immer wieder kommt er vorbei und seine „Aaahs“ und „Oooohs“, seine natürliche Freude an der Entstehung der Kopftätowierungen mit Nähseide und Nadel bestätigen mir meine gefühlten Schritte. „Immer habe ich mir so einen Magier vorgestellt. Der ist ganz sicher nicht aus Österreich, wahrscheinlich auch nicht aus Europa“, hat er mir gestern anvertraut. Und mit seinen einfachen Worten bestätigt, was ich beim Machen des Eierkopfes dauernd fühlte. Für mich ist es wieder eine dieser Phasen, von der ich nicht weiß, wohin sie mich führt. „Es“ ist einfach zu tun. Und es geht leicht, logisch, wie von selbst. Beim Tun kommen Ideen, Bilder, Worte. Und wenn ich glaube, nach diesem Kopf sei Schluss, dann täusche ich mich. Wie sonst soll ich mir erklären, dass sich noch nicht gemachte Augäpfel bis ins Detail und in die Montage in mein Tagesbewusstsein drängen und Formen annehmen. Nur die Gesichtsform kann ich noch nicht klar erkennen. Logisch. Mein Magier ist noch nicht ganz fertig.

Während ich hier an meiner Tastatur des Laptops meine Gedanken ordne und sortiere und verdichte legt mein Liebster draußen ein großes Gemüsebeet an. Die Saatkartoffeln sind am Weg. Ganz viele Pflanzen warten schon im Wintergarten, dass die Eisheiligen da waren. Ich werde heute Nachmittag mein Versprechen einlösen, die Südseite von den wilden Brombeerranken zu befreien. Ich wünsche rundherum ein sonniges, warmes Wochenende!

Wege durch den Wald

Ein bewegter, aufregender, arbeitsamer Sommer geht mit dem ersten Schultag unseres Jüngsten zu Ende. Schon Montag Morgen zwei Meetings. Die drei M’s tun mir erstaunlich gut. Aha, Struktur, welcome back! Ich krame den verstaubten Kalender hervor, trage Termine ein und nach. Die Arbeit macht mir Freude, es fühlt sich richtig gut an, wieder in die Werkstatt und mein Dasein als Künstlerin zurück zu kehren. Neun Wochen grobe Hilfsarbeitertätigkeiten für mein neues Atelier sind genug. Vielleicht schaffe ich es noch vorm Winter mit dem Einziehen. Vielleicht auch nicht. Mein Liebster hat auch schon genug – wir werden unsere Energie nicht überstrapazieren. Niemand steht mit der Peitsche hinter uns, der Raum ist wind- und wasserdicht, was wir jetzt noch schaffen, ist leicht von innen zu erledigen.

Heute Morgen beschließe ich, endlich etwas für mich und meine Gesundheit zu tun und den Waldspaziergang zu machen, den ich seit neun Wochen konsequent verschiebe. DIE Hitze. DIE Baustelle. DER Sami. Schluss jetzt. Als ich zur Tür hinaus gehe, freut sich Katzenmama Minnie und will mich mit ihren sechs Jugendlichen begleiten. Ich habe alle Hände voll zu tun, allein los zu marschieren und rette mich mit einem Sprint durch die morgennasse Wiese. Puh, Kondition fühlt sich anders an. Ich hab ganz schön zu tun, wieder normal Luft zu kriegen. Super, die Schuhe sind waschelnass. Umkehren? Oh nein, ich habe die Katzen ausgetrixt, dieses Mal gehe ich eben mit nassen Füßen.

Schräg leuchtet die Sonne durch den wunderschönen Mischwald, den unser Nachbar hingebungsvoll hegt und pflegt. Seit dem letzten Spaziergang hat sich viel getan. Neue Lichtungen wurden mit frischen Ahorn- und ganz besonderen Eichenbäumchen bepflanzt, mit Esche und Birke und verschiedenen Nadelgehölzen. Der Boden zieht sich gerade selbst eine Erdbeerblätterwiese an, nächstes Jahr werden die Himbeeren als Folgepflanze alles zuwuchern. Ich besuche meine Lieblingsfeenplätze, ein paar neue kommen dazu. Das alles im Morgenlicht, das zart und hell durch das gar nicht herbstlichbunte sondern frühlingsgrüne Blattwerk leuchtet. Ein Traum. Mein Herzschlag ist jetzt schmerzfrei, ich atme tief und ruhig. Wald, du beste Therapeutin von allen! Natürlich habe ich die Kamera dabei. Wie gut es tut, allein zu gehen. Nicht zu reden. Zu spüren. Zu atmen. Den Gedanken beim Denken zuhören und sie wieder ziehen lassen. Schwere Gerätschaften der Waldarbeiter haben tiefe Furchen in den Wegen hinterlassen. Allesamt hundertprozentig mit Wasser gefüllt. Ich hüpfe und springe von Gatsch- zu Grasfläche, um nicht davon zu schwimmen. Das sind definitiv nicht die richtigen Schuhe. Kein Wunder, dass seit einer Weile kaum mehr Wanderer am Haus vorbei kommen. Aber so ist das eben mit der Waldwirtschaft, die Zeit der Holzarbeiter mit Hacke und Säge ist vorbei.

Ein junger Rehbock huscht davon, als er mich mit der Kamera herumtanzen sieht. Ein großer Feldhase duckt sich in sein Versteck und wartet, ob sich die Flucht vor mir lohnt. Eichelhäher, Tauben und Krähen flügeln klatschend zwischen den Bäumen herum und warnen die anderen Waldbewohner vor mir, dem Eindringling. Specht und Kleiber zerklopfen morsche Baumrinden auf der Suche nach essbarem Eiweiß. Das Kunstprojekt #forforest im Klagenfurter Stadion fällt mir ein. Bäume im Topf in einem Fußballstadion, nur von den Rängen aus zu bestaunen, wie wilde Tiere im Zoo. Ich mag das Projekt, passt es doch so perfekt in unsere Zeit, weil endlich ein erschrockenes Bewusstsein für diesen ausgebeuteten Planeten erwacht, der unser aller Lebensbasis bildet. Und mehr mag ich dazu gar nicht sagen. Gestern all die Fotos auf social media und in den Onlineportalen, die „Ich-war-da-Selfies“ der Besucher. Dieser künstliche Wald bewegt, provoziert, macht nachdenklich. Ein toller Künstler sagt mir einmal, Kunst sei nicht die Natur, sondern das, was wir durch unseren Eingriff daraus machen. So definiert sich wohl auch dieses Projekt. Wie immer regt sich hier draußen in der Natur mein Widerstand. Diese schönen Formen des frühlingshaft frischen Farns, das tolle gefärbte Springkraut mit seinen Körbchen, die alte knorrige Eiche, die ihre abgestorbenen Äste in unnachahmlicher Komposition in den Wald hinein streckt. Der kleine Fliegenpilz, der sich aus dem Moos reckt. Ich verstehe heute gut, was dieser Künstler gemeint hat. Er hat so Recht, es ist seine Wahrheit. Für mich ist die Natur der größte Künstler. Ich kopiere sie. Beide Sichtweisen haben Platz auf diesem Planeten. Und noch ein paar mehr.

Ich spüre tiefe Dankbarkeit, dass der Waldbesitzer hier so viel Umsicht und Pflege walten lässt. Abseits der tiefen Furchen bilden Moose und weiche Gräser eine grüne Schicht, die die schlammigen Wunden verbinden. Der Wald wird sich von den Eingriffen erholen. Immerhin pflanzt Mensch hier alles in neuer Vielfalt nach, was der Borkenkäfer und seine Freunde und die Menschen entsorgen. Es gibt hier kaum mehr Monokulturflächen. Und ich beschließe, dass diese Spaziergänge zu einem regelmäßigen Ritual werden sollen. Inklusive Morgenseiten. Doch das ist eine andere Geschichte, die ich ein anderes Mal erzähle.