Puppen und das Leben

Grad ist recht viel los. Wir feiern in der Familie. Meine Enkelin, die Tochter meiner geliebten Tochter und ihres geliebten Partners, ist am Montag ein Jahr auf diesem Planeten. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr auch ich dieses selbstbewusste kleine Mädel liebe. Von ihren Eltern mal abgesehen. Und von der ganzen neuen Familie, durch die sie einen Weg zu uns fand.

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Dann gibt es in meinem direkten und indirekten Umfeld urplötzlich mehrere Konflikte. An manchen bin ich direkt beteiligt, an anderen indirekt. Ich stehe vor der Herausforderung, in Extreme zu verfallen. Dem Wunsch, davon zu laufen. Mich grundsätzlich ein bisschen oder viel schuldig zu fühlen. Nüchtern nachzudenken, worum es hier eigentlich gehen könnte, setzt erst nach mindestens einer Nacht Schlaf ein. Den anderen zu sehen, der auch nur ein Mensch ist und aus irgendeinem ihm vermutlich triftigen und wichtigen Grund handelt, wie er handelt. Zwischendurch setzen Totstellprozesse ein, ich halte die Luft an und warte, was als nächstes geschieht. Pfoah. Manche lieben Streit. Ich gehöre nicht dazu. Aus irgendeinem mir nicht ganz bekannten Grund fällt er mir sogar ganz schön schwer. Kostet Kraft und Mut und Durchhaltevermögen. Die Auseinandersetzung bringt mir durchaus auch Energie zurück, die sich irgendwie eingesperrt anfühlt, lähmend in ihrer Blockiertheit, herzklopfend in der Überwindung. Und sehr erleichternd und herzweitend, wenn mir klar wird, worum es in der Sache eigentlich geht. Dass es tatsächlich nötig ist, Haltung anzunehmen, Stellung zu beziehen, den eigenen Standpunkt auszudrücken. Holy Moly.

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Sehr spannend finde ich, wie sich diese Prozesse an meiner Puppe zeigen, die noch dazu namenlos ist. Noch nie im vergangenen Jahr ist es mir passiert, dass ich einer Puppe ein Gesichtstrikot neu machen musste. Beim diesem ersten Durchgang waren die Augen einerseits zu weit auseinander stehend. Und andererseits viel zu riesig für das zarte Gesicht. Die gemalte Form der Augen lief mir auch irgendwie aus dem Ruder. Gut. Das geschieht. Ist eigentlich auch keine große Sache, solange die Haare noch nicht dran sind. Also – neu machen. Da ich die Ohren vergessen habe, kommen sie nun sofort dran. Dieses Mal stecke ich sicherheitshalber nur Nadelaugen. Ganz klar ist die Augenfarbe. Blitzblau.  Beim zweiten Mal gelingen Iris, Pupille und Lichtpunkt sofort. Ich probiere bei den Augenbrauen und den Sommersprossen meine Aquarellstifte aus, die angeblich so gut funktionieren. Ohne nachzudenken male ich einfach los, ohne vorher etwas auszuprobieren. Sie bekommen was Diabolisches, Entschlossenes. Sanfte Puppe wird das keine, sondern sie entspricht im Ausdruck einer Lösung meines Inneren – komm her, trau dich, wir streiten das jetzt aus. So oft schreibt Fabs darüber, wie heilsam das Puppenmachen ist. So massiv habe ich das noch nicht erlebt.

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Das Machen der Perücke mit den Naturlocken dauert bei mir nicht vier oder fünf Tage sondern eine Woche. Der kleinförmige Kräutermist lässt sich nicht aus den Locken waschen. Also bürste ich irgendwann die Lockenpracht, wovon in allen Foren abgeraten wird. Nun hat meine Puppe einen Struwwelpeter-Look. Wovon ebenfalls in allen Foren geschrieben wird. Ich kann damit leben und muss schon ein wenig lachen. Gelingt dieses Mal gar nichts? Ich frage dann doch in meiner Puppen-MAL nach, was ich gegen die abstehenden, fliegenden aber immerhin sauberen Haare machen kann. Höre Unterschiedlichstes. Und wende heute jene Methode an, die mir am ungefährlichsten scheint: ich wasche die Haare mit kaltem Wasser und knete die Locken ausgiebig. Et voilà, sie hat wieder kleine Locken und Fransen. Ganz ohne Chemie, ganz ohne Öl. Die Augenbrauen rubble ich vorsichtig mit ein bisschen Wasser an. Der Trikot reagiert beleidigt, wirkt leicht beschädigt. Dafür schaut die Kleine jetzt nicht mehr so giftig. Da sie mich nun eine Saison durch die MAL mit all den anderen Puppenmacherinnen begleitet und alles mögliche an Garderobe bekommen wird, passt das gut. Sie muss nicht perfekt sein. Und sie darf mich ein Jahr daran erinnern, dass ich eine Lektion lerne in diesem Workshop, der sich „Leben“ nennt.

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Und ja, es ist auch was ganz Feines gelungen an ihr: sie sitzt selbständig. Dank ihres Popos, den ich dieses Mal schon richtiger hinbekommen habe als letztes Mal. Sie sitzt freihändig. Danke liebe Astrid für den tollen Schnitt.

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